Friedens- und Sicherheitspolitik Online

Informations-Plattform zum tagespolitischen Colloquium am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin im Wintersemester 2005/06

Sonntag, Februar 12, 2006

Kampf der Karikaturen und die Destruktion der Toleranz

Aus aktuellem Anlass wollen wir im letzten Colloquium des Wintersemesters 2005/06 über die friedens- und sicherheitspolitischen Folgen des Karikaturenstreits diskutieren. Wie real ist der "Kampf der Kulturen"? Welche Kalküle stehen hinter der Eskalation des Karikaturenstreits? Wie soll der "Westen" reagieren? Was bedeutet bzw. wie weit reicht Toleranz?

Links

Tagesschau-Online

Frankfurter Rundschau

NZZ Online

Die Zeit I II III IV V

The Guardian

BBC News

Sonntag, Februar 05, 2006

Mission Impossible oder Mission Civilisatrice?

Die Sicherheitspolitik der EU auf dem Balkan am Scheideweg

Das Pulverfass im Südosten Europas steht weiterhin unter latenter Explosionsgefahr und die Region weist trotz starker internationaler Präsenz Eskalationspotential auf. Schon Jugoslawien, das auf seinem Territorium mehr als zwanzig Nationalitäten vereinigte, musste seit seiner Entstehung gewaltige ethnische, soziale und ökonomische Spannungen aushalten. Der Tod Titos leitete einen Staatszerfallsprozess und eine Fragmentierung der Region ein, die bis heute noch nicht abgeschlossen sind. Die neunziger Jahre prägten ethnopolitische Konflikte, die in gewaltsamen Auseinandersetzungen mündeten und heute als grausamster Konflikt auf europäischem Territorium seit dem 2. Weltkrieg bezeichnet werden. Der Traum vom Großserbentum und die darauf folgende serbische Aggression unter der Führung von Slobodan Milosevics führten zu Völkermord und u.a. zur Entstehung neuer Staaten: Slowenien, Kroatien, Bosnien- Herzegowina und Mazedonien. Doch die Fragmentierung der Region ist noch nicht abgeschlossen und noch in diesem Jahr stehen die Unabhängigkeit Kosovos, sowie die Sezession Montenegros von Serbien zur Verhandlung und es ist nicht unwahrscheinlich, dass der westliche Balkan gegen Ende des Jahres zwei Staaten mehr zählt. Trotzdem gliedert sich die Region stärker in den Integrationsprozess der Europäischen Gemeinschaft ein, was in einem Widerspruch zur fortschreitenden Fragmentierung steht, aber gleichzeitig der einzige Weg zur einer friedlichen Lösung in der Region zu sein scheint. Die Entwicklung des westlichen Balkans soll anhand der Konflikte Serbien-Montenegro und Kosovo mit Fokus auf die Rolle der EU unter Berücksichtigung der internen Spannungen diskutiert werden.

DIE EINFLUSSNAHME DER EUROPÄISCHEN UNION AUF DEM WESTLICHEN BALKAN
Die internationale Gemeinschaft, unter ihnen die EU, übt einen starken Einfluss auf den Balkan aus, welcher die Region stabilisieren soll. Durch externen Druck werden Reformen angestoßen, die Spannungen lösen und den Balkan der Europäischen Union annähern sollen. Die Zukunft des Balkans liegt in der Europäischen Union, doch der Weg in die Gemeinschaft ist lang und offen, denn eine Roadmap, die gezielte Schritte und Reformen bis zu Beitritt festlegt, gibt es nicht. Die Stabilisierungspolitik der internationalen Akteure ist stark umstritten und soll ein Fokus der heutigen Diskussion sein.
Die Instrumente externer Einflussnahme sind die politische Konditionalität und die Förderung regionaler Kooperation. Das Instrument der politischen Konditionalität charakterisiert sich durch die Bindung finanzieller Hilfen an die strikte Erfüllung politischer und ökonomischer Auflagen. Die Konditionierung von Hilfsmaßnahmen soll Regime zu politischen Handlungen bewegen, die sie sonst nicht in den Angriff nehmen würden. Diese Auflagen können wirtschaftlicher, politischer oder sozialer Natur sein und verfolgen das Ziel Staaten, die sich im Transformationsprozess befinden, zur Festigung demokratischer Strukturen zu bewegen und bereits demokratische Staaten zur Wahrung der Demokratie zu verpflichten.
Der Sinn hinter der Förderung regionaler Kooperation beruht auf der These, dass Staaten, die wirtschaftlich miteinander kooperieren seltener Kriege miteinander führen. Dies ist durch die daraus folgende eingeschränkte Handlungsfreiheit bedingt, da durch vermehrte Kooperation das Abhängigkeitsverhältnis der Akteure wächst. Regionale Kooperation verfolgt somit zwei Ziele: zum einen fördert sie den Handel und sorgt somit für wirtschaftliche Konsolidierung durch Wirtschaftswachstum und zum anderen schafft sie Vertrauen durch Sicherheit, da sie das Verhalten der Akteure kalkulierbar macht.
Die in Aussicht gestellte Beitrittsperspektive zur Europäischen Union bewirkte kombiniert mit dem Einsatz dieser Instrumente einen Reformschub in der Balkanregion, so dass der Beitritt zwar noch in weiter Ferne steht, jedoch näher rückt. Kroatien gehört zu den Kandidatenländern, die einen Bescheid zur Aufnahme der Verhandlungen warten, um über das ob und wie zur Vollmitgliedschaft zu entscheiden. Albanien, Bosnien, Mazedonien, Serbien-Montenegro und Kosovo sind potenzielle Kandidatenländer mit erheblicher Abstufung. Mazedonien verfügt über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA), Albanien wartet auf die Fortführung der Verhandlungen, während Bosnien-Herzegowina und Serbien- Montenegro auf den Beginn der Verhandlungen zum SAA warten. Die europäische Kommission sprach sich im Oktober/November 2005 für eine Höherstufung aller Länder im EU- Annäherungsprozess aus, obwohl recht kritische Einschätzungen der tatsächlich erzielten Fortschritte vorliegen. Diese auffällige Häufung positiver Empfehlungen der Kommission kann auf die zunehmende Erweiterungsmüdigkeit der EU zurückgeführt werden und ist ein Versuch des Entgegenwirkens, um die Hoffnungen der Region nicht zu zerstören. Die EU befindet sich in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Viele glauben, die Erweiterung müsste solange aufgeschoben werden bis sich die Mitgliedsländer der EU in fundamentalen Fragen um die Zukunft der Gemeinschaft geeinigt haben.
Die durch Referenden in den Niederlanden und Frankreich abgelehnte europäische Verfassung könnte ein Ausdruck der Ablehnung der Erweiterungsschritte sein und die Empirie bestätigt diese Annahme. Kein Mitgliedsstaat der EU unterstützt die Erweiterung der EU um den westlichen Balkan mit mehr als 40% und Stimmen aus der Politik äußern sich kritisch zum Beitritt der Länder des westlichen Balkans. Angela Merkel sprach sich im Juni für eine Verlangsamung des Erweiterungsprozesses aus, nachdem Kroatien beigetreten sei. In Frankreich spricht Sarkozy von einer Pause und Chirac bemerkt, dass es ohne Verfassung es keine legale Basis für die Integration neuer Beitrittskandidaten gibt. Jedoch ist die Aussicht auf einen Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft das bisher wirksamste Verhandlungsinstrument der internationalen Gemeinschaft, um den Reformprozess auf dem Balkan voranzubringen.

Kann sich die EU zurückziehen und nur eine privilegierte Partnerschaft auf dem Balkan in Aussicht stellen und ein schwarzes Loch inmitten der Union zulassen? Inwiefern würde die Abkehr von der Beitrittsperspektive die Stabilität auf dem Balkan beeinflussen? Welche Strategie sollte verfolgt werden, um Stabilität innerhalb der Europäischen Union und in der Region des westlichen Balkans zu gewährleisten?

HEUTE „SOLANIEN“ – MORGEN GRENZT SERBIEN AN MONTENEGRO
Serbien und Montenegro werden sich voraussichtlich Ende 2006 trennen, obwohl die EU weiterhin auf einen Gesamtstaat drängt. Montenegro nutzt das im Belgrader Abkommen gewährte Recht auf ein Referendum, das wahrscheinlich positiv entschieden wird und die Abspaltung legalisiert. Doch es herrscht kein Konsens unter den Montenegrinern, da viele von ihnen in Serbien leben und arbeiten und somit eine lose Union der beiden Staaten bevorzugen. Sollte die erforderliche Mehrheit nicht erreicht werden, wird eine Union zweier unabhängiger Staaten entstehen, für deren Ausgestaltung noch keine genauen Pläne vorliegen. Ein Plan ist jedoch dringend notwendig, da das momentane Staatenkonstrukt keine stabile Lösung für die Zukunft darstellt. Die Staatenunion Serbien & Montenegro, die auf Druck der EU durch das Belgrader Abkommen im Jahre 2002 geschaffen wurde, weist ein erhebliches Funktionalitäts- und Legitimitätsdefizit auf, die den Reformprozess der beiden Nationen lähmen. Schwache Kompetenzen der gemeinsamen zentralen Institutionen, ein hohes Verwaltungsaufkommen verhinderten eine zügige Umsetzung des Abkommens auf politischer Ebene und die von Serbien unabhängige Wirtschafts- und Fiskalpolitik Montenegros erschwerten die Harmonisierung des Wirtschaftsraumes.
Die Desintegration Montenegros begann bereits im Jahre 1997, als Montenegro eigene Zollämter an den Grenzen einrichtete, die Geldtransfers mit Serbien abbrach und Visa zur Einreise verlangte. Als Milosevic 1999 die föderale Verfassung änderte, wurden die Proteste aus Montenegro lauter und die Schritte in Richtung Unabhängigkeit zügiger. Die internationale Gemeinschaft unterstütze die Politik Podgoricas und genehmigte die Einführung der deutschen Mark als alleiniges Zahlungsmittel, da sie die Opposition in Serbien unterstützen wollte. Zur Zeit der Spannungen im Kosovo stellte sich Montenegro, unter Djunkanovic, öffentlich gegen Milosevic. Das Hauptinteresse der internationalen Gemeinschaft zu diesem Zeitpunkt war, die „Anti-Milosevic- Allianz“ zu unterstützen und Montenegro vor einem Überfall Milosevics zu schützen. So wurde Montenegro von vielen Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ausgenommen und mit finanziellen und diplomatischen Mitteln unterstützt. Man glaubte, dass sich die Beziehungen zwischen Belgrad und Podgorica nach Milosevics Entmachtung wieder verbessern würden. Dukanovic läutete die ökonomische Desintegration der Region ein und die finanzielle Hilfe von Seiten der EU und den USA subventionierte die hoch ineffiziente, montenegrinische Wirtschaft. Die innere ökonomische Stabilität Montenegros spielte zu diesem Zeitpunkt für die internationale Gemeinschaft, unter ihnen die EU, eine untergeordnete Rolle. Es wurde nicht genügend Druck auf die Region ausgeübt, ihre rhetorischen Reformbemühungen Wirklichkeit werden zu lassen und ihr marodes wirtschaftliches System zu erneuern.
Mit dem Sturz Milosevics im Jahre 2000 war die Gefahr, die für Instabilität in der Region stand, gebannt. Das Interesse der EU in Bezug auf Serbien& Montenegro änderte sich und die externen Stabilitätsbemühungen setzten auf eine Integration der Region. Montenegro war in den Vorbereitungen für ein Referendum, dessen positiver Ausgang Montenegro zu einem souveränen Staat machen sollte. Die Verhandlungen über eine Neufassung der Beziehungen waren in vollem Gange als die EU sich aus folgenden Beweggründen für einen gemeinsamen Staat einsetzte: Würde die Föderation Serbien und Montenegro bestehen bleiben, wäre es ein Rückschlag für die angestrebte Sezession des Kosovos. Denn nach der Meinung der Sezessionsbefürworter würde eine Abspaltung Podgoricas das Recht der Selbstbestimmung auch für das Kosovo gelten. Die EU fühlte sich gedrängt, schneller über den Status des Kosovos entscheiden zu müssen. Zudem wurden Dominoeffekte auf die Region befürchtet, so dass separatistischer Druck der Republika Srpska, der serbisch kontrollierten Entität in Bosnien- Herzegowina, zunehmen könnte, sowie Abspaltungsbemühungen in Mazedonien an Boden gewinnen könnten. Weitere Zweifel waren, dass die montenegrinische Gesellschaft in sich zur Unabhängigkeitsfrage stark gespalten war und Montenegro mit seinen 650.000 Einwohnern zu klein und arm sei, um als Staat bestehen zu können. Unter der Leitung von Javier Solana, Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, wurden am 24.12. 2001 Expertengespräche unter der Anwesenheit von Beobachtern der Europäischen Union in Belgrad, aufgenommen, die im Belgrader Abkommen mündeten. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass ihr Ergebnis, die Beibehaltung des Bundesstaates, von Anfang an fest stand. Man griff zu harten Druckmitteln. So wurden Podgorica finanzielle Konsequenzen angedroht und betont, dass eine Trennung von Serbien zu einer stark verlangsamten Aufnahme in die EU führen würde. Das Belgrader Abkommen wurde verabschiedet und nun, vier Jahre später, wird sich Montenegro voraussichtlich dennoch abspalten.

Ob, der starke Eingriff der EU zur Stabilität in der Region beitrug oder die Stabilisierung der Region durch eine Verlangsamung des Reformprozesses verzögert wurde, sei hier zur Diskussion gestellt. Welche Strategie zur Stabilisierung Serbien – Montenegros hätte die EU verfolgen sollen? Welche Position sollte die EU zukünftig gegenüber Serbien- Montenegro einnehmen?

DIE KOSOVOFRAGE WIRD 2006 BEANTWORTET
In diesem Jahr wird über den zukünftigen Status des Kosovos entschieden. Die Verhandlungen wurden bereits Ende 2005 unter Leitung UN- envoy Mertti Ahtisaari aufgenommen, nachdem die Region jahrelang in der Ungewissheit um ihren zukünftigen Status ausharren musste.
Seit den achtziger Jahren herrschen angespannte Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien, die sich von Provokationen bis hin zur extremen Anwendung von Gewalt äußern. Die anhaltenden Unruhen und Gewaltausbrüche veranlasste die NATO militärisch zu intervenieren, nachdem der Vertrag von Ramboulliet durch die starke militärische Offensive Milosevics im Jahre 1999 gebrochen wurde. Die Luftangriffe der NATO, die ohne Unterstützung der UN durchgeführt wurden, trafen hauptsächlich strategische Ziele in Jugoslawien, aber führten zu verstärkten Vertreibungen und gewaltsamen Handlungen der jugoslawischen Armee gegenüber Kosovoalbanern. Die serbische Bevölkerung, sowie Roma wurden im Gegenzug Ziel gewaltsamer Handlungen der albanischen Seite. Die weitere Eskalation des Konfliktes konnte jedoch vorerst durch das internationale Engagement verhindert werden, das im Jahre 2000 in einem UN Protektorat mündete. (mehr Hintergrundwissen bitte der Literatur entnehmen.) Die Formel „Standards before Status“ kennzeichnete die Politik der internationalen Gemeinschaft seit Beginn der UN- Mission UNMIK, die seitdem versucht die Region mittels State-Building-Maßnahmen und Demokratisierung zu stabilisieren. Die Transformation des Konfliktes bis hin zur friedlichen Konfliktaustragung gestaltete sich jedoch als schwierig, da keine konkrete Zielvorstellung vorlag. Die Ungewissheit über den zukünftigen Status könnte auch Grund für den erneuten Ausbruch gewaltsamer Handlungen im Jahre 2004 sein, als ethnische Albaner sich im Norden des Kosovos gewaltsam gegen ihre serbischen Nachbarn und die internationale Verwaltung wandten.
Obwohl UNMIK erfolgreich einen Prozess der ökonomischen Rekonstruktion anstoßen konnte und ein Mindestmaß an politischer Stabilität gewährleistet hat, wird die Mission stark aufgrund fehlender Legitimität, organisatorischer Kohäsion, institutioneller Kapazität und der Abwesenheit konkreter Ziele kritisiert. Ein kritischer Report des Botschafters Kai Eide im Jahre 2004 sprach sich für die Veränderung der Strategie im Kosovo aus und forderte „ more dynamic standards policy with achievable priorities reflecting the most urgent needs, including those for the future status.“ Zudem befürwortete er einen schnelleren Kompetenztransfer, provisorische Institutionen und ein systematisches capacity building. Dieser Report veränderte den Diskurs der internationalen Gemeinschaft über die Gegenwart und Zukunft des Kosovos und kam ins Rollen, so dass die Final Status Talks im Jahre 2005 beginnen konnten und bereits über eine Exit-Strategie diskutiert wird.
Der Ausgang der Verhandlung ist ungewiss und die Positionen der beiden Opponenten starr. Die Kosovoalbaner, die 90% der Bevölkerung ausmachen, fordern kompromisslos die Unabhängigkeit und akzeptieren auch mehrheitlich die internationale Präsenz in der Region, während die Kosovoserben die Lösung bevorzugen, in der Kosovo eine Provinz Serbiens mit weit reichenden Autonomierechten bleibt. Sie fürchten erneute Übergriffe der Kosovoalbaner auf Serben und serbische Kulturstätten und eine Verletzung der Menschenrechte. Serbien selber weiß, dass die Unabhängigkeit Kosovos früher oder später nicht mehr aufzuhalten ist, aber vertritt eine Position, die das Kosovo nicht aufgeben will. Dies ist besonders vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen im Oktober 2006 zu betrachten. Premierminister Kostunica operiert mit der Formel „ more than autonomy, less than independance“ und erhofft sich durch Kooperation einen strategischen Vorteil bei den Verhandlungen zum SAA. Weitere Argumente sind, dass Kosovo zu instabil ist, um unabhänig von Serbien zu bestehen; eine Auffassung, die auch andere europäische Staaten teilen. Eine institutionelle Verbindung mit Serbien wäre für Kosovo unakzeptabel. Im Kosovo steht zur Zeit nicht fest, wer die Verhandlungen nach dem Tod des Präsidenten Rugova leiten wird und die Hoffnung der internationalen Gemeinschaft einen Verhandlungspartner mit moderater Einstellung zu bekommen ist groß, denn die Gefahr, dass radikale Kräfte stärker werden besteht.
Auch die internationale Gemeinschaft ist in sich gespalten und die Präferenzen für den Final Status sind nicht einheitlich. Die USA legen besonderes Gewicht auf den Schutz der serbischen Minderheit und eine starke Dezentralisierung und Stärkung der lokalen Ebene. Russland unterstützt die Institutionalisierung von starken Verbindungen zwischen Belgrad und Pristina. Tschechien hingegen vertritt eine extreme Position und spricht sich für eine Aufteilung Kosovos entlang ethnischer Linien aus. Slowenien steht für volle Unabhängigkeit, während Spanien, Italien und Griechenland Bedenken äußern, den Kosovo in die volle Unabhängigkeit zu entlassen. Zur Diskussion stehen ebenfalls die zukünftigen Rollen der NATO und der EU in der Region. Eine Strategie meint, die EU- Übernahme der Bosnien Mission könnte als Modell für den Kosovo dienen. Ob das Instrument der Konditionalität der EU stark genug ist, die Region zu stabilisieren sei in Frage gestellt, da der EU-Beitritt des Kosovo noch in weiter Ferne ist. Hat die EU die benötigten Kapazitäten eine zweite Mission zu leiten und ist ihre Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik so einheitlich, dass sie als Akteur einen großen Teil der Verantwortung übernehmen können? Welche Strategie sollte die EU vor dem Hintergrund der Erweiterungsmüdigkeit einschlagen? Wie ist die „neue“ Friedenspolitik der EU zu bewerten? Kann man von einer Militarisierung und einer Abkehr vom Frieden mit friedlichen Mitteln sprechen?


LINKS

Radio Free Europe

European Stability Initiative

International Crisis Group

Stiftung für Wissenschaft und Politik

The Human Security Gateway

bearbeitet von Sina Greinert

Montag, Januar 30, 2006

Veranstaltungshinweis

RESPEKT! IM KONFLIKT
13. Symposium für Interkulturelles Kommunikationsmanagement Das diesjährige Symposium beschäftigt sich mit der Variablen Respekt in interkulturellen Konfliktsituationen. Es versucht eine wissenschaftsdisziplinäre Differenzierung und Konturierung des Begriffs und stellt der Theorie die lebendige Praxis der Integrationsarbeit, Konfliktbearbeitung und Katastrophenhilfe entgegen.

In Vorträgen und Diskussionen werden an drei Veranstaltungstagen unterschiedliche Themenbereiche interkulturellen Kommunikationsmanagements erörtert. Titel dieser Veranstaltung: "Die Kunst des Intervenierens - zwischen Tradition und Vision."
Referenten:
Sven Chojnacki, Juniorprofessor Internationale Friedens- und Sicherheitspolitik, Otto Suhr Institut
Andreas Zumach, UNO Korrespondent der taz
Beate Wagner, Generalsekretärin der DGVN
Valentin Heyde, RespectResearchGroup

Information: www.ikmsymposium.de
16-20 Uhr, UdK Berlin, Hardenbergstr. 33, Raum 310

Sonntag, Januar 29, 2006

Zivile Konfliktbearbeitung im Zeichen erweiterter Sicherheitspolitik

Im Mai 2004 erließ die Bundesregierung den Aktionsplan „Ziviles Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“. Damit soll zivile Konfliktbearbeitung als Querschnittsaufgabe in Politik und Gesellschaft verankert werden. Ein entsprechender Ressortkreis, bestehend aus Vertretern aller Ministerien, soll eine kohärente und koordinierte Erfüllung dieser Aufgabe gewährleisten. Beratend steht ihm ein Beirat aus Vertretern nicht-staatlicher Organisationen zur Seite. Im Rahmenkonzept heißt es " ... Krisenprävention erfordert (…) häufig eine enge Zusammenarbeit von zivilen und militärischen Komponenten im Rahmen eines Sicherheitskonzepts, das politische, diplomatische, wirtschaftliche, humanitäre und militärische Mittel einschließt. ..."
Daraus folgt, dass nahezu alle sozialen Phänomene einen sicherheitspolitischen Bezug bekommen. Konfliktbearbeitung wird zur Querschnittsaufgabe, an der sicherheits- wie entwicklungspolitische Akteure gleichermaßen beteiligt sein sollen.

Politisch soll, so auch Heidemarie Wieczorek-Zeul, derzeitige Ministerin des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), die Prävention Vorrang haben. Dennoch, Zivile Konfliktbearbeitung bezeichnet den bewussten Einsatz nicht-militärischer Mittel zur Vorsorge, Bearbeitung und Nachsorge von gewaltsamen Auseinandersetzungen. Der Begriff der „Bearbeitung“ impliziert, im Gegensatz zum Begriff der „Austragung“, die Mitwirkung einer ‚neutralen’ Drittpartei. Dabei kann es sich jeweils um in- wie ausländische, staatliche oder nichtstaatliche Akteure handeln.

Anfänge ziviler Konfliktbearbeitung
1992 setzte Boutros Boutros-Ghali mit seiner „Agenda für den Frieden“ den ersten Meilenstein der Zivilen Konfliktbearbeitung. Das Konzept an sich war nicht neu: Wirtschaftssanktionen wurden bereits als ‚Waffe’ gegen das Apartheid-Regime in Südafrika eingesetzt, die EU setzt seit ihrer Gründung auf Frieden durch supranationale Verrechtlichung. Zum Instrument der internationalen Beziehungen konnte es erst mit dem Ende des Kalten Krieges werden. Bis dahin waren die zentralen Akteure souveräne Staaten, die gleichzeitig das Monopol für den Frieden wie für den Krieg innehatten.

ZKB in der Europäischen Union

Im Jahr 1995 fand das Konzept Einlass in die Entwicklungspolitik der Europäischen Union (EU). Als Reaktion auf die „Schocks“ in Somalia und Ruanda entwickelte sich eine selbstkritische Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe. Am Ende stand die Einsicht, dass Hilfe nie neutral ist (und es auch nie war). Mary B. Anderson erfasst in diesem Zusammenhang zwei Kriterien: Wirkungen durch Ressourcentransfer und durch implizite ethnische Botschaften. Aus der Forderung, Entwicklungsprojekte so zu gestalten, dass sie nicht Konflikt verschärfend wirken, leitete sich zudem die Forderung ab, Möglichkeiten zur friedlichen Konfliktlösung zu ergreifen.
Zunächst war dieses ‚neue’ Konzept nur auf die AKP-Staaten begrenzt. Es begann mit der Unterstützung der Organisation Afrikanischer Einheit (OAU) durch Frühwarn- und Peecekeeping Kapazitäten. 1996 wurden von der Generaldirektion für Entwicklungspolitik (DG VIII) folgende Grundsätze aufgestellt: (a) ‚Effective Ownership’ für Staaten und Regionalorganisationen sollten unterstützt werden. (b) Die Arbeit der EU-Kommission sollte sich auf frühzeitige Prävention gewaltträchtiger Konflikte richten (c) Ursachen für Gewalt sollten durch einen kohärenten Gesamtansatz angegangen werden, der auch ökon., ökolog. und soz. Hilfe mit umschließt. (d) Die Analysekapazitäten sollten ausgebaut werden (e) Der Informationsaustausch sollte gefördert werden.
1997 bestätigte der Europäische Rat der gemeinsamen Erklärung „Conflict Prevention and Resolution in Africa“ diese Grundsätze. 1998 wurde diese Position auf alle Entwicklungsländer ausgeweitet.

Es stellt sich die Frage, welche der oben genannten Grundsätze umgesetzt wurden: Zunächst lässt sich festhalten, dass im Bereich Ausbau der Analysefähigkeiten und der Netzwerkbildung einiges getan wurde: So wurden zahlreiche Plattformen zur Vernetzung und zum Informationsaustausch zwischen europäischer Institutionen, der Mitgliedsstaaten und Nichtregierungsorganisationen (NRO) eingerichtet (die Kontaktdaten findet ihr weiter unten).
Das mit den Afrikanisch-Karibisch und Pazifischen Staaten (AKP-Staaten) 2000 verhandelte Cotonou-Abkommen setzt an anderer Stelle an: Entwicklungsgelder werden an die Erfüllung von ‚Good Governance’ Kriterien gebunden, womit eine Politisierung der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) einhergeht. Die Armutsbekämpfung, zur Überwindung struktureller Konfliktursachen soll intensiviert werden. Des Weiteren wird erstmalig die Rolle von NROs explizit in den Vertrag mit aufgenommen und ihre Funktion bei der gewaltlosen Konfliktbearbeitung betont. Auch ist eine Reform der Finanzierung enthalten, die den schnelleren und effektiveren Zufluss von Mitteln garantieren soll. Dennoch, alle Akteure sind sich einig, dass diese Maßnahmen nur dann greifen werden, wenn sie in ein kohärentes Gesamtkonzept eingebunden werden. Im Zielkonflikt mit der Handelspolitik kann sich das Cotonou Abkommen für die AKP Staaten eher hinderlich auswirken. Dieses beabsichtigt, die einseitigen Handelspräferenzen (die auch in den vier Vorgängerabkommen -Lomé I – IV- nur beschränkte Wirkung entfalten konnten) auf lange Sicht abzubauen, um sie so mit den Richtlinien der Welthandelsorganisation kompatibel zu machen.

ZKB in der Bundesrepublik Deutschlands
Der Gedanke der ZKB erhielt in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) erst 1997 und damit recht spät die Aufmerksamkeit der politischen Institutionen. Mit dem Regierungswechsel 1998 wurde Krisenprävention aber zum Schwerpunkt bundesdeutscher Entwicklungs-, Sicherheits- und Außenpolitik erklärt.
Im Juli 2000 erließ der Bundessicherheitsrat, in den auch das BMZ einzog, das Rahmenkonzept „Krisenprävention und Konfliktbeilegung“. Ziel ist es, in allen drei Phasen aktiv auf eine friedliche Konfliktbewältigung einzuwirken. Ausgangspunkt für Maßnahmen ist wie in der EU der erweiterte Sicherheitsbegriff.
Die entwicklungspolitische Debatte ist hier eng verknüpft mit der Schaffung des ‚Zivilen Friedensdienstes’. Damit erhielt die Entwicklungspolitik ihr eigenes Instrument, um direkt auf die Konfliktsituation und seine Austragung Einfluss zu nehmen. Unter der Federführung des BMZs, aber in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt, NROs und Kirchen wurde hierfür 1999 das Rahmenkonzept „Ziviler Friedensdienst“ (ZFD) verabschiedet, für das im Jahr 1999 5 Milliarden DM zur Verfügung standen, die alljährlich aufgestockt worden (2002: 9,1 Mrd. Euro). Oberziel des ZFDs ist es, in Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen Gewalt zu mindern oder zu vermeiden, Verständigung zu fördern und zu einem nachhaltigen und gerechten Frieden beizutragen. Projektziele sind, den gewaltfreien Umgang mit Konflikten und Konfliktpotenzialen zu fördern, vorhandene Ansätze zur Versöhnung und Friedenssicherung zu stärken und Beiträge zum Wiederaufbau einer funktionierenden Zivilgesellschaft zu leisten.
Außerdem wurde im Jahr 1999 bereits ein Indikatorenkatalog zur Krisenprävention entwickelt, der es ermöglichen soll, die Zuspitzung von Krisen in den Partnerländern frühzeitig zu erkennen. Dem wurde aber bisher kein institutioneller Prozess zur Aktivierung krisenpräventiver Maßnahmen angegliedert. Das BMZ zog damit die Konsequenzen aus seiner Politisierung. Die Zweiteilung von: 1. keinen Schaden anrichten, und 2. aktiv dem Gewaltausbruch entgegentreten, soll durch die Mainstreamaufgabe der zivilen Krisenprävention in der Entwicklungspolitik und dem Instrument des ZFDs gewährleistet werden.

Fragen an das Colloquium:
1) Die Entwicklungspolitik steht im Zeichen der Sicherheitsdiskussion. Überfordert sich diese damit nicht? Welche Chancen und welche Risiken ergeben sich aus der neuen Verzahnung von Entwicklungspolitik und Sicherheitspolitik?

2) Die im Colloquium besprochenen Konflikte wurden bzw. werden zu einem überwiegenden Teil gewaltsam ausgetragen. Externe Aufmerksamkeit erlangen Konflikte erst dann, wenn die Akteure zu militärischen Mittel greifen. Was sind die Gründe dafür? Was müsste sich ändern, um dem ‚Primat der Prävention’ gerecht zu werden?

3) NROs spielen in dem Konzept der Zivilen Konfliktbearbeitung eine wichtige Rolle. Sie gelten als neutrale Akteure und haben gemeinhin besseren Zugang zur Zivilbevölkerung. Mit welchen Problemen sind ausländische und inländische NGOs konfrontiert? Welche Probleme können sich aus der verantwortlichen Rolle gesellschaftlicher Organisationen für die Konfliktdynamik ergeben?

Links zum Thema

Ein erster Überblick:
C. Wellner/ A. Kirschner: Zivile Konfliktbearbeitung - Allheilmittel oder Leerformel?, 2005

Gesamtkonzepte und Rahmenbedingungen:
Gesamtkonzept ‚Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung’, 2000

Aktionsplan ‚Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung’, 2004


Rat der Europäische Union, Zivile Krisenbewältigung


Institutionen der ZKB:
In Deutschland:
Arbeitsgemeinschaft Entwicklungspolitische Friedensarbeit

Berghof Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung

Konsortium Ziviler Friedensdienst

Plattform Zivile Konfliktbearbeitung


Projekt zivik


In der EU:
European Centre for Conflict Prevention und European Platform for Conflict Prevention

European Network for Civil Peace Services

European Peacebuilding Liaison Office

Weitere Texte zum Thema:
T. Debiel/ M. Fischer: Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung durch die EU, 2000

Bestandsaufnahme der ‚Plattform Zivile Konfliktbearbeitung’ zur ZKP in Deutschland, 2003

G. Maihold: Die sicherheitspolitische Wendung der Entwicklungspolitik: Eine Kritik des neuen Profils, 2004

bearbeitet von Jana Rosenboom

Sonntag, Januar 15, 2006

Policy Empfehlungen zur Senkung des Gewaltniveaus in Lateinamerika

von Chi-Huy Tran

Aus Lateinamerikanischer Sicht:
- Es ist es unerlässlich, dass sich eine unabhängige Justiz etabliert, denn aktuell besteht noch in keinem einzigen lateinamerikanischem Land ein funktionierendes Rechtssystem. Die Justiz muss hierbei zwei essentielle Funktionen erfüllen:
Zum eine muss sie der Willkür des Staats Einhalt gebieten und eine effektive Kontrolle ausüben, zum anderen die weit verbreiteten Kriminalität strafrechtlich verfolgen – so schätzt man die Fälle straffreier Verbrechen auf 98%.
- Der Staat muss das Gewaltmonopol innehabe, sowohl geographisch als auch funktional. So existieren Regionen in Lateinamerika, die faktisch dem staatlichen Einfluss entzogen sind und rechtsfreie Räume bilden, somit sich regelrecht „Gewaltnischen“ entwickeln können. Auf funktionaler Ebene kann z.B. die Kolumbianische Regierung der Farc keine Sicherheitsgarantien geben im Falle einer Entwaffnung, da sie keine Kontrolle über die Paramilitärs und Teilen des eigenen Sicherheitsapparates ausübt, was eine friedliche Beilegung des Konfliktes drastisch erschwert. Außerdem zeichnet sich eine zunehmende Tendenz zur Privatisierung der Sicherheit ab, der die Ungleichheiten in den Gesellschaften noch verschärft und das eigentlich kollektive Gut Sicherheit nur noch privilegierten Gruppen zukommt.
- Die in den 80er Jahren begonnene Demokratisierungsphase Lateinamerikas sollte stärker einen „bottom-up“ Pfad verfolgen, um eine stabile und nachhaltige Akzeptanz zu fördern. Dabei sollte die Zivilgesellschaft gestärkt werden und das Subsidiaritätsprinzip akzentuiert, da es in Lateinamerika starke indigene Gruppen gibt, deren Traditionen und Ordnungsmechanismen inkooperiert werden sollte.
- Eine wichtige Rolle zur Aufarbeitung der diktatorischen Vergangenheit, und damit zur Konfliktbewältigung, spielen die Wahrheitskommissionen, deren Arbeit aber effektiv durch die Amnestiegesetze konterkariert wird. Deshalb sollten die Amnestiegesetze auf die politische Agenda und in den öffentlichen Diskurs, um den gesellschaftlichen Versöhnungsprozess zu forcieren.

Aus US Amerikanischer Sicht:
- Stay out.

Aus Europäischer Sicht:

- Bessere Koordinierung der Entwicklungshilfe.
- Verantwortung übernehmen für die koloniale Vergangenheit?

Diese „Policy Empfehlungen“ spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten des Autors wider.

Samstag, Januar 14, 2006

Das Imperium schlägt zurück oder alter Wein in neuen Schläuchen? Der Gaskrieg zwischen der Ukraine und der Russländischen Förderation

Mit einer am 4. Januar 2006 zustande gekommen Einigung zwischen Vertretern des russischen Gasmonopolisten Gazprom und des ukrainischen Gasversorgers Naftogaz Ukrayiny endete vorläufig der so genannte „Gaskrieg“ zwischen Russland und der Ukraine, dessen Höhepunkt eine dreitägige Unterbrechung der russischen Gaszufuhr in die Ukraine war. Ursache des Streites war eine von der russischen Seite geforderte Preiserhöhung um ca. 450% - von US$ 50 auf US$ 230 – 250 für 1000 Kubikmeter Gas - zur Anhebung des bisher stark subventionierten Gaspreises auf Weltmarktniveau, nachdem eine ukrainische Delegation im April letzten Jahres eine Teilrevision des bis 2009 geltenden Liefervertrages gefordert hatte. Nach der damaligen Ansicht der ukrainischen Delegation waren die Kosten für den Transit des russischen Gases über ukrainisches Territorium zum Weiterverkauf nach Europa in dem Vertrag, der von der vorigen Regierung unter Leonid Kutschma ausgehandelt worden war, stark unterbewertet. Die Einigung basiert auf einem komplexen Schema, nachdem die russischen Gaslieferungen an die Ukraine rückwirkend ab 1. Januar 2006 über eine Drittfirma, das in der Schweiz angesiedelte Joint Venture RosUkrEnergo AG abgewickelt werden, während die Transitgebühren erhöht und nunmehr nicht mehr in Gas, sondern in Geld beglichen werden. Während der Deal von den leitenden Managern beider Seiten als Erfolg gefeiert wurde, welcher die langfristige Versorgung garantiert, werfen nunmehr publik gewordene Details immer mehr Fragen auf.

Die ersten Auswirkungen des Streites sind inzwischen sichtbar, wenngleich längst nicht alle Folgen bereits abzuschätzen sind. In der Ukraine ist es inzwischen zu einer Regierungskrise gekommen, nachdem das Parlament den Premierminister und sein Kabinett unter dem Vorwurf der Unfähigkeit, ukrainische Interessen zu schützen, entlassen hat – obwohl rechtlich unklar ist, ob das Parlament dazu überhaupt die Befugnis besitzt. In der westlichen Öffentlichkeit ist das ohnehin geringe Ansehen der Russländischen Förderation (RF) weiter gesunken, während sich Vertreter westeuropäischer Staaten und der EU nur sehr zurückhaltend in die Debatte eingeschaltet haben. In Deutschland ist die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Atomaussstieges und der Notwendigkeit der Diversifizierung der Energieversorgung vor allem von Politikern der Union erneut mit Nachdruck gestellt worden. In den westlichen Medien wurde der Gasstreit ausgiebig begleitet. Wie bereits zu Zeiten der sog. „Orangenen Revolution“ ist die Ukraine zum Medienstar aufgestiegen, während Russland wiederholt imperiale Großmachtspolitik mit Gaslieferungen als Waffe vorgeworfen, die Sicherheit der russischen Gaslieferungen in Frage gestellt und Gazprom als zweites Außenministerium der RF bezeichnet wurde.

Es stellt sich hier die Frage, ob die Bewertung des Gaskrieges als Beweis für nostalgisch-imperiale Ambitionen der RF gerechtfertigt ist oder eher einen Ausdruck russophober Tendenzen in der westlichen Medienlandschaft, welche den Konflikt enthistorisiert, darstellt. Meiner Meinung nach handelt es sich jedenfalls eher um einen neuen Höhepunkt in einem mindestens seit Zusammenbruch der UdSSR schwierigen Nachbarschaftsverhältnis, dass durch Pfadabhängigkeiten des sowjetischen Vermächtnisses einerseits und Schwierigkeiten im jeweiligen nationalen Selbstfindungsprozess andererseits geprägt ist. Zur Verschärfung des Konfliktes trugen weiterhin innenpolitische Verschiebungen in der Ukraine seit der sog. „Orangenen Revolution“ und Machtkämpfe innerhalb des Kremls bei.

Der Hintergrund: eine schwierige Nachbarschaft seit Ende der UdSSR
Eine kurze Vorbemerkung: viele westliche Kommentatoren scheinen zu unterstellen, dass die RF mit der Rechtsnachfolge der UdSSR auch gleich die imperiale Attitüde der Sowjetunion übernommen hatte. Allerdings ist festzuhalten, dass die imperiale Politik der UdSSR keineswegs eine russisch dominierte Politik war. Vielmehr waren gerade ethnische Ukrainer in sowjetischen Strukturen – gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung – überrepräsentiert. Die sowjetische imperiale Politik war also nicht (nur) eine russische imperiale Politik, sondern mindestens auch eine ukrainische imperiale Politik.

Sowjetische Vermächtnisse Teil I: die Verzahnung der Energiesektoren
Aufgrund der sowjetischen Standortpolitik – einer Ballung von jeweiliger Produktionskompetenz an einem Ort – sind der russische und der ukrainische Energiesektor eng verzahnt. Das Know-How der sowjetischen Energieindustrie entstand Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts vor allem an ukrainischen Ingenieursschulen. Deshalb waren die meisten Ingenieure und Arbeiter, welche die riesigen Gas- und Ölvorkommen in Sibirien erschlossen, Ukrainer. Bis Mitte der 90er Jahre waren Ukrainer bei Gazprom dominant. Das Zentrum zur Produktion großer und kleiner Pipelines befand sich bis Ende der 90er Jahre in der Ukraine, nur Pipelines mittleren Durchmessers wurden mehrheitlich in der RF hergestellt. Erst seit kurzem gibt es Bestrebungen zur Nationalisierung der jeweiligen Produktion von Pipelineinfrastruktur. Weiterhin standen die meisten Gasspeicher der UdSSR – wichtig, um auf saisonalen Nachfrageschwankungen reagieren zu können – in der Ukraine und damit nahe an den europäischen Abnahmeländern. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR stellte sich bald die Frage nach einer Neuregelung der Gaslieferungen, was auch Anfang der 90er Jahre zu einer Reihe von kleineren Konflikten zwischen der RF und der Ukraine führte. Insgesamt drei Mal – einmal 1992 und zweimal 1993 – drehte die RF der Ukraine die Gaszufuhr ab, jedoch konnten diese Konflikte immer relativ rasch wieder beigelegt werden. Bereits damals zweigte die Ukraine Gas ab, was zu Lieferausfällen in den europäischen Staaten führte.

Aufgrund der engen Verzahnung der ukrainischen und der russischen Energiesektoren, die nur sehr langsam in nationalstaatliche Kompetenzen aufgelöst wird, bleiben in der Frage der Energielieferungen in den Westen die Ukraine und die RF langfristig aufeinander angewiesen – auch nach Fertigstellung der umstrittenen Ostseepipeline. Die Verantwortlichen müssen deshalb in der Lage sein, eine tragfähige Vertrauensbasis, auf der die Arbeitsbeziehungen fußen, aufzubauen.

Sowjetische Vermächtnisse Teil II: die Krim und die Schwarzmeerflotte
Ein weiterer wichtiger Punkt der gegenseitigen Nachbarschaftsbeziehungen, der auch während des letzten Gasstreites immer wieder auftauchte, war die Flottenbasis der Schwarzmeerflotte (SMF) in Sevastopol auf der Halbinsel Krim. Die Krim wurde der Ukraine 1954 von Nikita Kruschtschow zur Feier der 300jährigen Union zwischen Russland und der Ukraine geschenkt – natürlich ohne, dass die bis heute mehrheitlich russische Bevölkerung ein Mitspracherecht gehabt hätte. Sevastopol, gegründet 1784 um den Anspruch des russischen Imperiums auf die Hoheit über das Schwarze Meer zu unterstreichen, war der wichtigste Warmwasserhafen der Sowjetunion. Sowohl Sevastopol als auch die SMF ist für Russland immer noch von allergrößter strategischer Wichtigkeit, da ohne Kontrolle über diese beiden Ressourcen eine Versorgung Russlands über den Seeweg in Krisenzeiten nicht garantiert werden kann.

Es erstaunt von daher nicht, das sowohl die Krim, als auch die Frage nach der Kontrolle über Sevastopol und der Schwarzmeerflotte ein wichtiger – wenn nicht der wichtigste - Streitpunkt zwischen der RF und der Ukraine nach dem Auseinanderbrechen der UdSSR war. Im April 1994 verschärfte sich die Krise dermaßen, dass sogar ein Krieg zwischen der RF und der Ukraine um die Kontrolle über die Krim nicht mehr ausgeschlossen wurde. Erst im Mai 1997 wurde ein Vertrag abgeschlossen, welcher unter anderem vorsah, dass die SMF zur Hälfte zwischen Russland und der Ukraine aufgeteilt werden sollte, die Krim und Sevastopol als Teile des souveränen Staatsgebiets der Ukraine anerkannt wurden und die RF die Häfen in und um Sevastopol bis 2017 für eine jährlich Gebühr in Höhe von US$ 97,75 Millionen mieten würde. Seitdem sind jedoch um die Höhe der Miete und vorgeworfene Vertragsverletzungen immer wieder kleinere Konflikte ausgebrochen, der letzte als am 13. Januar 2006 ukrainische Soldaten die Kontrolle über den Leuchtturm von Jalta übernahmen, welcher den hydrographischen Dienst des russischen Teils der SMF beherbergt.

Die „nationale Frage“ in der Ukraine
Die Frage nach einer eigenständigen nationalen Identität ist wie jede nationale Frage in der ehemaligen Sowjetunion vor allem eine politische Frage von allerhöchster Sensibilität. Während die meisten Russen – und einige Ukrainer selbst (einige der wichtigsten ukrainische kulturelle Eliten (z.B. Nikolai Gogol und Michail Bulgakov), um die sich eine nationale Identifikation hätte bilden können, sprachen Russisch und hatten eine eher abschätzige Meinung der ukrainischen Sprache und der dazugehörigen Kultur) - die Vorstellung der ukrainischen Nation als einer eigenständigen seltsam finden, bildete sich vor allem im Westteil der Ukraine eine starke ukrainische Identität aus. Diese identifizierte sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR vor allem durch den Hinweis auf eine lange Leidensgeschichte des ukrainischen Volkes unter den Russen und der Sowjetunion und hat dementsprechend eine ausgeprägt antirussische Konnotation.

Heute ist die Ukraine einigermaßen klar in einen ukrainisch geprägten Westeil und einen russisch geprägten Ostteil gespalten. Die ethnische Teilung übersetzt sich auch in politische Trennlinien. 22% der Bevölkerung sind Russen, ca. 30% sind russisch sprechende Ukrainer und 45% sind ukrainisch sprechende Ukrainer. Die Beziehung zwischen den verschiedenen Gruppen ist dynamisch und schlägt sich im Wahlverhalten wieder. Das Zünglein an der Waage bildet jeweils die Gruppe der Russisch sprechenden Ukrainer. Bei den Wahlen im Herbst 2004 standen sich der „russische“ Kandidat Janukowitsch, der von Vorgänger Kutschma und Wladimir Putin unterstützt wurde, und der „ukrainische“ Kandidat Juschtschenko, der eine pro-westliche Politik befürwortete und von ukrainischen Nationalisten und europäischen Staaten unterstützt wurde. Bei der Wahl stimmten immerhin 44% der Wahlberechtigten gegen Juschtschenko und seine pro-westliche Politik. Die Niederlage von Janukowitsch, der angeblich immerhin US$ 300 für seinen Wahlkampf von Moskau erhalten hatte, wurde sowohl in der russischen Bevölkerung als auch bei westlichen Experten als schwere außenpolitische Niederlage für Präsident Putin gewertet.

Das Vorspiel des aktuellen Gaskonfliktes
Im August 2004 wurde ein bis 2009 geltender Liefervertrag zwischen Gazprom und Naftogaz Ukrayiny abgeschlossen. Nur ausgewählte Teile des damaligen Abkommen wurden veröffentlicht, aus denen aber hervorgeht, dass der Preis von US$ 50 pro 1000 Kubikmeter Gas nur das Gas betraf, welches als Ausgleichszahlung für die Transitgebühren bestimmt war. Dies sind nur ca. 15 Milliarden Kubikmeter, der Gesamtbedarf der Ukraine beträgt für 2006 allerdings 76,5 Milliarden Kubikmeter, wovon nur ca. 20 Milliarden aus ukrainischer Produktion stammen. Dieses wichtige Detail der Verträge wurde von den meisten Kommentatoren bislang übersehen. Der Vertrag wurde übrigens bereits damals als politisch motiviert bewertet – es wurde angenommen, dass eine vertragliche Vereinbarung über die Lieferung von billigem Gas die Chancen des vom Kreml favorisierten Kandidaten Janukowitsch im Präsidentschaftswahlkampf Ende 2004 steigern sollte, und entsprechend von westlichen Experten kritisiert.

Eine Lieferung von Gas zum Preis von US$ 50 pro 1000 Kubikmeter entspricht einem russischen Verdienstausfall von US$ 3 bis 5 Milliarden pro Jahr, wenn man den Verkauf zu Marktpreisen zu Grunde legt. Eine derartige Subventionierung stößt sowohl in Kreisen der russischen Eliten wie auch der russischen Öffentlichkeit auf Unverständnis. Zum Vergleich: dieser Betrag ist mehr als die gesamten europäischen Hilfen für die Ukraine in den letzten 14 Jahren. Die US Hilfen betrugen für 2005 insgesamt „nur“ US$ 176 Millionen, obwohl die Förderung der sog. „Orangenen Revolution“ ein besonderes Anliegen der Bush-Administration war.

Ein weiteres Detail des Vertrages war die Abmachung zur Entwicklung eines ukrainisch-russischen Konsortiums unter Einbeziehung Deutschlands zur Entwicklung und Kontrolle der Pipeline-Infrastruktur. Diese Abmachung wurde von Präsident Juschtschenko kurz nach seiner Amtsübernahme stillschweigend fallen gelassen.

Die Kontrolle über das ukrainische Unternehmen Naftogaz Ukrayiny übernahm kurz nach der Wahl Juschtschenkos einer seiner Klienten – der Vorsitzende der Partei „Kongress der ukrainischen Nationalisten“ Iwtschenko, der mit antirussischen und antisemitischen Äusserungen aufgefallen war. Unter seiner Führung wurde von der ukrainischen Seite bereits im April 2005 vorgeschlagen, die Transitkosten für russisches Gas auf dem Weg nach Europa zu erhöhen und die entsprechenden Teile des geltenden Vertrages zu revidieren. Von der russischen Seite wurde daraufhin im Juni 2005 der Vorschlag gemacht, den gesamten Vertrag neu zu verhandeln – verbunden mit einem Ultimatum. Allerdings war die ukrainische Führung zu diesem Zeitpunkt derart in innenpolitische Grabenkämpfe verstrickt, dass es nie zu Neuverhandlungen kam und die russische Frist verstrich.

Zusätzlich erschwert wurde der gesamte Verhandlungsprozess durch die Tatsache, dass die Ukraine 5 bis 6 Milliarden subventionierten Gases zu Marktpreisen an europäische Kunden mit einem geschätzten Profit in Höhe US$ 1 Milliarde weiterverkauft hatte.

Die russische Entscheidung, Weltmarkpreise für Gaslieferungen an die Ukraine anzulegen, fiel nachdem im Oktober 2005 der größte ukrainische Stahlkonzern zu einem Weltmarkpreis von US$ 4,8 Milliarden an eine indische Gesellschaft verkauft wurde. Energiekosten machen 70% des Stahlpreises aus. Im Dezember schließlich wurde die Ukraine dann von der EU offiziell als Marktwirtschaft anerkannt.

Der Deal: wirklich eine langfristige Perspektive?
Die Präsentation des den Konflikt lösenden Deals am 4. Februar durch die Vorsitzenden von Gazprom und Naftogaz Ukrayiny wurde als großer Erfolg für eine mittelfristig – laut den Sprechern wurde für das Abkommen eine Laufzeit von fünf Jahren angesetzt - gesicherte Versorgung der Ukraine mit Gas gewertet. Die Inhalte der Präsentation jedoch unterscheiden sich stark von dem tatsächlichen Abkommen, das inzwischen auf der Webseite der national-oppositionellen Politikerin Julia Timoschenko veröffentlicht wurde. Laut diesem Dokument wurde eine Einigung über den Gaspreis nicht auf fünf Jahre, sondern nur auf sechs Monate erzielt. Die einzige weitere substantielle Einigung ist eine Anhebung des Transitpreises für nach Europa zu exportierendes russisches Gas auf US$ 1,60 pro 1000 Kubikmeter Gas auf 100 km Transitstrecke, die zukünftig in Geld und nicht mehr in Gas zu begleichen sind. Die Analyse des Dokumentes legt nahe, dass Gazprom substantielle kommerzielle Interessen an das Joint Venture RosUkrEnergo AG abgegeben hat, dessen Eigentümer unbekannt sind. In diesem Licht erscheint die Einigung eher als ein Ergebnis eines Machtkampfes innerhalb russischer Eliten, in dem die Ukraine eher eine Zuschauerrolle gespielt hat.

Fragen an das Colloquium:
1) Meiner Meinung nach spielt ein vom westlichen Beobachtern angenommener russischer Imperialismus in dem aktuellen Gasstreit zwischen der RF und der Ukraine keine Rolle. Welche Gegenargumente, die ein imperiales Motiv nahe legen, könnte es geben?

2) Die RF scheint in der westlichen Presse regelmäßig nicht sehr gut wegzukommen. Was könnten die Gründe dafür sein?

3) Besteht die Gefahr, dass die Gasversorgung durch die RF vermehrt als politische Waffe eingesetzt werden könnte, eurer Meinung nach tatsächlich? Welche Maßnahmen sollten europäische Staaten ergreifen, um einer solchen Gefahr zu begegnen?

4) Wie ist die These, dass die Einigung eher ein Ergebnis eines innerrussischen Machtkampfes war, im Hinblick auf die aktuelle innenpolitische Lage in der RF zu bewerten?


Quellen
Die meisten Informationen, die in diesem Beitrag verwertet wurden, stammen aus Beiträgen einer recht rege geführten Diskussion auf dem Mailverteiler des Netzwerkes Junge Osteuropa-Experten oder Zeitungsartikel, die über Johnson’s Russia List verschickt wurden.

Den Wortlaut des Vertrages findet man hier (auf russisch)

bearbeitet von Cornelius Graubner

Samstag, Januar 07, 2006

Friedens- und sicherheitspolitische Trends in Lateinamerika

Demokratisierung
Den Ländern Lateinamerikas schien es seit ihrer Unabhängigkeit zu Beginn des 19.Jahrhunderts lange Zeit nicht gelungen zu sein, eine stabile politische Ordnung aufzubauen. In der Tat war der kontinuierliche Wechsel zwischen Diktatur und Demokratie einer der auffälligsten Merkmale der politischen Entwicklung des Subkontinentes. Im Zeitraum 1930 bis 1980 fanden 40 Prozent der Regierungswechsel durch Putsche statt, seit den 90ern gab es so gut wie keine gewaltsamen Umstürze mehr. Eine These lautet, dass die so genannte „Dritte Welle der Demokratisierung“ (Huntington) Mitte der 1970er ein gewisses Maß an Stabilität in die Region brachte. Aktuell gibt es nach Freedom House in ganz Mittel- und Südamerika kein Land mehr, dass nicht als „frei“ oder zumindest als „teilweise frei“ gilt.
Die jüngste Präsidentschaftswahl, die fair und frei verlief, fand in Bolivien statt.

Bolivien

Bolivien galt lange Zeit als einer der unbeständigsten Länder Lateinamerikas, denn seit der Unabhängigkeit 1825 gab es dort eine kontinuierliche Serie von etwa 200 Staatstreichen.
Mit der Etablierung einer vergleichsweise demokratischen Zivilregierung seit 1982 herrscht in Bolivien trotz großer Missstände aber eine relativ stabile Ordnung.
Des Weiteren bildete der Sieg des indigenen Kokabauers Evo Morales am 18.12. 2005 den Auftakt einer Serie von Wahlen, die dieses Jahr in 11 Staaten des Kontinentes anstehen. Diese Wahlserie könnte als weitere Etappe im Konsolidierungsprozess des Kontinentes gewertet werden.

Fragen
Zeigen die zunehmenden Demokratisierungsbedürfnisse und –fortschritte Lateinamerikas, dass in Zukunft mit weniger Konflikten oder Konflikten niedrigerer Intensität zu rechnen ist? Oder aber handelt es sich bei der Demokratisierung des Kontinentes lediglich um eine funktionale Änderung der politischen Systeme, die Historie und „Kultur“ der politischen Gewalt wird also in naher Zukunft weiterhin existieren?

Einfluss der USA in Lateinamerika


Seit der Monroe Doktrin 1823 hat die USA ihre südlichen Nachbarn als ihren „backyard“ definiert - eine Region, in der die USA ihre Interessen berührt sieht und für sich deshalb das Recht in Anspruch nimmt, mal offen, mal verdeckt in die Angelegenheiten der süd- oder mittelamerikanischen Staaten zu intervenieren. Die Auswirkung US amerikanischer Außenpolitik auf Lateinamerika ist in ihrer ganzen Dimension schwer zu fassen, da mehrere Aspekte, sowohl die ideologische, kulturelle, ökonomische als auch sicherheitspolitische Ebene, tangiert werden. Im Friedens- und Sicherheitspolitischem Kontext nimmt neben dem Stützen oder Stürzen bestimmter Regime aber insbesondere die Militärhilfe eine besondere Rolle ein. Im Zeitraum von 2000-2006 hat sich allein das Volumen der Foreign Military Financing um das 34fache vergrößert (wohingegen die zivile Entwicklungshilfe um 40% abgenommen hat). Dies hat insbesondere in Kolumbien weitreichende Auswirkungen.

Kolumbien
Kolumbien stellt im modernen Lateinamerika insofern eine Besonderheit dar, als dass in dem Land noch der einzige langjährige Konflikt herrscht. Dieser dauert nun schon etwas mehr als 40 Jahre an und zwischen den drei Konfliktparteien - der Regierung, den Paramilitärs (AUC) und den Guerillas (Farc und ELN) – scheint sich keine politische Lösung abzuzeichnen, denn Präsident Uribe verfolgt ein militärisches Vorgehen. Die kolumbianische Regierung bezieht aus den USA im Rahmen des so genannten „War on Drugs“ immer umfangreichere Militärhilfen und Waffenlieferungen - ein Trend, der eher als Konfliktfördernd gelten kann.

Fragen:
Ist der Fokus der kolumbianischen Regierung auf eine militärische Lösung Erfolg versprechend, insbesondere da eine Pattsituation besteht? Ist andererseits eine politisch Lösung denkbar, da die einzelnen Parteien durchaus vom weiteren Fortbestehen der Gewalt durchaus profitieren?

Hintergründe
AKUF
ICG I
ICG II

Analysen:
HSFK

International Monetary Fund
World Policy Institute I
World Policy Institute II

bearbeitet von Chi-Huy Tran

Mittwoch, Dezember 14, 2005

Policy-Empfehlungen zur internationalen Ugandapolitik

von Stefan Skupien

Die Lord Resistance Army stellt Analysten und Beobachter vor einige Schwierigkeiten. Die im Norden Ugandas tätige Rebellenarmee bewegt sich in einer politischen Grauzone, weil sie zwar keine klar definierte und zielstrebig verfolgte staatspolitische Programmatik aufweist, aber dennoch eine Form der Vergesellschaftung darstellt, auch wenn kein direkter Anspruch auf Territorium erhoben wird. Damit ist sie Gegenstand der politikwissenschaftlichen Analyse, mehr noch seitdem das Ausmaß der Gewaltanwendung ein Politikum darstellt.

Demnach müssen zuallererst die Größe, Organisationsstrukturen und Motive der Gruppe, bzw. ihrer Führung herausdestilliert werden, um angemessene Handlungen generieren zu können. Sollte es sich nämlich um eine Mafiaähnliche Gewaltökonomie, in diesem Fall auf der Entführung von Kindern basierend, handeln ergibt sich ein klarer Auftrag an die bewaffneten Streitkräfte Ugandas die Rebellen zu entwaffnen und ihr Wirkungsgebiet zu befrieden. Neben dieser betont militärischen Komponente spielten die Friedensverhandlungen lediglich eine unterstützende Funktion, indem sie jegliche Gewalteskalationen durch Amnestieangebote zu unterbinden versuchten. Lokale Initiativen zur Konfliktlösung sollten dennoch von allen Seiten unterstützt und deren Erfolg nicht prinzipiell in Frage gestellt werden. Die erneuten Angriffe seitens der LRA auf humanitäre Organisationen deuten aber auf einen längeren Verhandlungsprozess hin, was Vorwürfe der Verschleppung des Friedensprozesses zugunsten einer Re-Organisation der LRA nach sich zieht.

Die Internationale Gemeinschaft hat bisher kein ökonomisches Interesse an Norduganda formuliert und fällt lediglich durch symbolische Ermahnungen in Hinblick auf die LRA auf. Dennoch hat der ICC erste Haftbefehle für Josef Kony und vier weitere hochrangige Offiziere ausgestellt. Die USA listet die LRA außerdem als terroristische Vereinigung auf.

Während eine militärische Lösung auf einen anhaltenden strategischen Sieg über die Rebellenarmee zielt, sind die sozioökonomischen Dimensionen der Post-Konflikt-Zeit nicht außer acht zu lassen. Die seit der Kolonialzeit unter den Engländern strukturell vernachlässigte Pader- und Kitgum-Region muss nicht nur 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge reintegrieren sondern auch die ökonomischen Reproduktionsbedingungen überhaupt erst zur Verfügung stellen. Dabei sollten besonders die dringende medizinische Versorgung (1,000 Sterbefälle pro Woche) und missbrauchte Kinder in den Vordergrund zu stellen. Die Regierung Ugandas sollte das Staatsgebiet zum Notstandgebiet erklären um dadurch in der Konsequenz rechtlich erforderliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Ehemalige Rebellen muss eine Alternative zum wiederholten Waffengang angeboten werden. Die Ugandische Regierung hat anderen Rebellengruppen bereits Resettlement-Packages angeboten hat, konnte diese aber nur teilweise bereitstellen. Appelle an die Regierung in dieser Hinsicht müssen einheitlich und bestimmt erfolgt. Dabei wird der Zusammenhang mit der innenpolitischen Lage Ugandas offenbar: Einflussnahme seitens westlicher Regierungen über vorenthaltende Entwicklungsunterstützung (in 2005: Irland, Norwegen und UK) als Reaktionen auf Entwicklungen des Regierungssystems können die Möglichkeiten des Ugandischen Staates nachhaltig konterkarieren.

Trotz allen Anlass zum Optimismus muss die Handlungsfähigkeit externer Akteure kritisch betrachtet werden. Weder die Sudanesische Armee noch der bewaffnete Flügel der SPLM betrachten derzeit die LRA als oberste innenpolitische Priorität. Übergriffe der LRA auf sudanesischem Territorium (August 2005) haben jedoch schon zu scharfen Verurteilungen geführt. Auch die im Osten Kongos stationieren UN-Blauhelmsoldaten (MONUC) und die kongolesische Armee werden erst erhebliche Ressourcen mobilisieren müssen um Teile der LRA gezielt verfolgen zu können.

Die internationale Staatengemeinschaft selbst kann aber einen substanziellen Beitrag zur Lösung des Konfliktes leisten, wenn die effektivsten Instrumente der Rebellenarmeen, die Kleinwaffen und Antipersonenminen, global eliminiert und vom Handel ausgeschlossen werden. Einschlägige Konferenzen, wie die UN Small Arms Conference von 2001, haben nicht nur das Bewusstsein geschärft, sondern auch Aktionsprogramme erarbeitet und Resolutionen initiiert (UN Resolution: Unterstützung von Staaten zur Eindämmung des unerlaubten Handels mit Kleinwaffen und zur Einsammlung dieser Waffen, 2004; . Hinweise auf unterzeichnete und verabschiedete bereits existierende Resolutionen der UN (z.B. Declaration on the Protection on Women and Children in Emergency and Armed Conflict, 1974; Optional Protocol to the Convention on the Rights of Children on the involvement of children in armed conflict, 2000) ergänzen dabei die Aufforderungen an die Internationale Gemeinschaft, sich des als vergessen bezeichneten Krieges im Norden des Landes anzunehmen.

Mittwoch, Dezember 07, 2005

Gewaltmärkte und soziale Polarisierung in der Republik Sudan – ein „successfully failed state“?



Seit die Republik Sudan am 1. Januar 1956 de jure unabhängig wurde, ist es den vermeintlichen Zentralre-gierungen in der Hauptstadt Khartoum nie gelungen, ein Mindestmaß an Staatlichkeit für das gesamte Land zu gewährleisten. In dem größten Flächenstaat des afrikanischen Kontinents wird seit knapp fünfzig Jahren bis in das Jahr 2005 hinein mit variierender Intensität und mit variierenden regionalen Schwerpunk-ten Krieg geführt. Einzig zwischen 1972 und 1983 kam es zu einer Phase brüchiger Stabilität, die allerdings fast zwangsläufig in einen neuerlichen Kriegsausbruch mündete. Die Republik Sudan wird von einer multidimensionalen Konfliktlage beherrscht. In wechselnden Allianzen kämpfen Armee, Befreiungsbewe-gungen, Milizen und Banden gegeneinander. Der „Norden“ kämpft gegen den „Süden“, Gruppen im Nor-den kämpfen ebenso gegeneinander wie Gruppen im Süden, Christen gegen Christen und Muslime gegen Muslime. Auffallend sind u. a. der hohe Fragmentisierungsgrad der Konfliktparteien, der Gewaltaustrag innerhalb von Konfliktparteien bzw. zahlreiche „Frontwechsel“ sowie gefestigte Strukturen (illegaler) Ausbeutung (z. B. Zwangsarbeit, Schutzgelderhebungen, Plünderungen, etc.).


Wirtschaftliche wie auch militärisch-strategische Interessen der sudanesischen Eliten, aber auch externer Akteure aus Anrainerstaaten und Übersee, beeinflussen das Kriegsgeschehen in erheblichem Maße. Im Verlauf der Unabhängigkeitsgeschichte ist es den (quasi-)staatlichen Führungseliten im Sudan gelungen, das marode System in seiner extremen Ungleichheit stabil zu halten und sich defizitärer Staatlichkeit gezielt zur Durchsetzung ihrer Interessen zu bedienen. In diesem Sinne bezeichnet der französische Histo-riker Gérard Prunier das Land als „successfully failed state“. Immer wieder aufs Neue haben sich Gewalt-märkte herausgebildet, die wiederum einen wesentlichen Hinderungsgrund für Entwicklung und Ausübung einer stabilen Staatlichkeit darstellen.

Die kriegerischen Auseinandersetzungen im Sudan haben nahezu drei Millionen Menschen das Leben gekostet. Neben den unmittelbar bei Kriegshandlungen, Massakern und Massenvertreibungen Getöteten forderten (durch die Kämpfe verursachte) Hungersnöte die meisten Opfer. Nach Schätzungen des UNHCR liegt die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen derzeit bei insgesamt rund fünf Millionen, was in etwa einem Siebtel der Gesamtbevölkerung des Landes entspricht. Über vier Millionen Menschen wurden in-nerhalb der Staatsgrenzen vertrieben – dem UNHCR zufolge die „weltweit größte Zahl an Binnenvertriebenen“ – weitere 600.000 Sudanesen und mehr sind außer Landes geflohen. Zahlreiche Quellen belegen zudem, dass die Praxis der Sklaverei im Sudan bis in die Gegenwart hinein zur Anwendung kommt.

Das (prä-)koloniale Erbe: Entwicklung des Zentrums-Peripheriegefälles im Sudan
Die Konflikte im Sudan sind geprägt von einem erheblichen Zentrums-Peripheriegefälle. Die Geschichte der Marginalisierung bzw. gezielten Ausbeutung großer Gebiete im Süden und Westen – insgesamt über zwei Drittel des Landes – reicht bis vor die „europäische“ Kolonialzeit zurück. Bereits im 18. Jahrhundert war das Gebiet des heutigen Sudans osmanisch-ägyptischer Herrschaft unterworfen, während der die Bevölkerung im Süden und Westen systematisch ausgebeutet wurde. Die britisch-ägyptischen Kolonialherren verfolgten dann zwischen 1899 und 1955 eine Herrschaftspolitik des divide et impera. Sie behandelten Nord- und Südsudan als zwei getrennte Blöcke, betrieben eine aktive Rassentrennung sowie ein weitgehendes Auseinanderdividieren der Verwaltung. Wirtschaftlich zeigte das Empire nur wenig Interesse am Sudan und bescherte dem Land eine extrem ungleiche Entwicklung, von der einzig die Kernregion rund um die Hauptstadt Khartoum profitierte.

Trotz der vorangetriebenen Zweiteilung entließ das britische Kolonialreich den Sudan schließlich als Ein-heitsstaat in die Unabhängigkeit. Der Herrschaftsapparat wurde ohne Blutvergießen an eine kleine nordsu-danesische Elite übergeben. Diese setzte die ungleiche Sozial-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik der Kolo-nialregierung fort, nun freilich nicht mehr verbunden mit Rassentrennung sondern stattdessen mit Maßnahmen zur kulturellen Zwangsintegration. Schon die „Zweiteilung“ der sudanesischen Bevölkerung wäh-rend der Kolonialzeit war der tatsächlichen kulturellen Vielfalt des Landes (mit rund 600 ethnischen Grup-pen) nicht gerecht geworden. Die von den Führungseliten in Khartoum nach Ende der Kolonialzeit verfolgte Homogenisierungspolitik hat die soziale Polarisierung im Sudan dann aber noch weiter verschärft.

Erdöleinnahmen als zentrale Kriegsursache?
Die Entdeckung und Erschließung umfangreicher Ölvorkommen (rund 1% der globalen Reserven) hat die Konfliktlage im Sudan während des vergangenen Jahrzehnts weiter angeheizt. Einige Autoren halten Erdöl mittlerweile für die zentrale Kriegsursache im Sudan. Tatsache ist, dass die Regierung in Khartoum durch die Erdöleinnahmen ihre Militärausgaben drastisch erhöhen konnte, damit aber trotzdem keinen entschei-denden militärischen Vorteil gegenüber Rebellen und Milizen erlangt hat. Die Erdölgebiete befinden sich vorwiegend im Süden des Landes. Die wechselnden Regierungen waren im Verlauf der 80er Jahre darum bemüht diese Gebiete (u. a. mithilfe von angeworbenen Milizen) unter ihre Kontrolle zu bringen. Die dort lebende Zivilbevölkerung wurde enteignet, getötet oder vertrieben. Mehrere internationale Erdölkonzerne waren nicht nur durch die Breitstellung von Finanzmitteln beteiligt. Weiterer Konfliktstoff ergibt sich da-durch, dass bei der Erschließung des Erdöls zahlreiche Fremdarbeiter zum Einsatz kommen und Ökostan-dards kaum Beachtung finden.

Friedensabkommen zwischen Khartoum und der SPLA/M
Am 9. Januar 2005 wurde in Nairobi ein Friedensvertrag zwischen der vermeintlichen Zentralregie-rung und der SPLA/M (Sudanese People’s Liberation Army / Movement) unterzeichnet. Die Rechte an den sudanesischen Erdöleinnahmen sollen demnach zwischen der Regierung in Khartoum und einer südsudanesischen Regionalregierung aufgeteilt werden – ohne explizite Berücksichtigung der übrigen marginalisierten Regionen (wie etwa Darfur oder die Ostprovinzen). Am Zustandekommen dieses Abkommens waren außer den beiden genannten Konfliktparteien keine der weiteren bewaffneten Gruppierungen und Milizen beteiligt. Nach sechs Jahren Übergangszeit soll die Bevölkerung im Süden per Referendum über eine weitere Zugehörigkeit zur Republik Sudan bzw. alternativ über die Bildung eines autonomen Staates entscheiden. Über die Grenzziehung einer etwaigen Teilung des Landes wurde keine Einigung erzielt. Es ist zu bezweifeln, ob Khartoum eine Abspaltung des Süden tatsächlich hinnehmen würde.

Darfur
Die Entwicklungen im westlichen Grenzgebiet zum Tschad haben in den vergangenen zwei Jahren große internationale Aufmerksamkeit erfahren. Die Provinz Darfur mit rund fünf Millionen Einwohnern gehört zu den ärmsten Gebieten Sudans und sieht sich mit häufigen Dürrekatastrophen, überdurchschnittlichem Bevölkerungswachstum und zunehmend mit Landkonflikten konfrontiert. Als sich im Verlauf des Jahres 2003 eine mögliche Aufteilung der Erdöleinnahmen zwischen Khartoum und SPLA/M abzeichnete (s.o.), verstärkten zwei lokale Rebellenbewegungen in Darfur ihre Angriffe auf Stützpunkte der Regierungstrup-pen – die SLM/A (Sudan Liberation Movement / Army) und das JEM (Justice and Equaltiy Movement). Seitdem begehen Regierungstruppen und angeheuerte Milizen systematisch Massenvertreibungen, Zerstö-rungen und Plünderungen in der Region. Es ist unklar, inwieweit die Milizen noch von Khartoum kontrol-liert werden. Eine von der Europäischen Union (EU) mit finanzierte und technisch unterstützte Schutztruppe der Afrikanischen Union (AU) hat ihre Plangröße bis heute nicht erreicht. Nach wie vor wird von Ver-treibungen, Plünderungen und Überfällen auf Hilfstransporte in der Region berichtet.

Fragen an das Colloquium:
1) Was lässt sich aus dem Fallbeispiel Sudan bezüglich der Analyse von (defizitärer) Staatlichkeit ler-nen? Welche Formen von Gewaltoligopolen ersetzen das seit der Unabhängigkeit zu keinem Zeit-punkt intakte Gewaltmonopol?

2) Lassen sich (intuitiv) verschiedene Typen von Gewaltmärkten (verstanden als System der Gewaltre-gulierung) unterscheiden? Inwiefern variieren Qualität und Verhalten zentraler Konfliktakteure?

3) Die Entdeckung und Erschließung von Erdölvorkommen hat im Sudan wie zuvor bereits in einigen benachbarten Staaten (z. B. Nigeria oder Tschad / Kamerun) eher zu einer Konfliktverschärfung als zu Frieden und Entwicklung beigetragen. Welche Rolle spielen dabei die Erdölkonzerne und ihre Hei-matländer? Wie kann gegengesteuert werden? Sollte die Weltbank im Sudan – ähnlich wie bei dem Tschad-Kamerun-Erölprojekt – eine Mittlerfunktion bezüglich der Erdölerschließung übernehmen?

4) Überlagert der Kampf um Erdöleinnahmen im Sudan alle weiteren Konfliktursachen? Ist ein Stabili-sierungsprozeß auch unter Ausschluss / Isolierung einiger Regionen denkbar?

5) Inwiefern kann das gemeinsame Vorgehen von EU (als Geldgeber sowie Anbieter von technischem und logistischem Knowhow) und AU (als Truppensteller) in Darfur als Zukunftsmodell für externe Krisenintervention in Afrika angesehen werden? Muss das Vorgehen von AU und EU in Darfur enger mit der UN-Mission im Süden des Sudan verknüpft werden?

6) Wie lässt sich die über Jahrzehnte ausgebildete, vielfach instrumentalisierte gesellschaftliche Polari-sierung bzw. das tief verwurzelte Misstrauen im Sudan entschärfen?

Literaturempfehlungen zu aktuellen Entwicklungen im Sudan:
PETER, Marina (2004), Sudan
[schnelle Lektüre auf Deutsch; gut zum Einstieg]

ICG (2005a), The Khartoum-SPLM Agreement: Sudan’s Uncertain Peace
[Pflichtlektüre: Executive Summary and Recommendations]

ICG (2005b), The EU / AU Partnership in Darfur: Not yet a Winning Combination
[Pflichtlektüre: Executive Summary and Recommendations]

ICG (2004), Darfur Rising: Sudan’s New Crisis
[Pflichtlektüre: Executive Summary and Recommendations]

ICG (2003), Sudan’s Other Wars
[lesenswert zum besseren Verständnis der vielschichtigen Konfliktlage im Sudan]

ICG (2002), God, Oil and Country. Changing the Logic of War in Sudan
[bitte selektiv lessen!]

HRW (2003), Sudan, Oil and Human Rights
[bitte selektiv lessen!]

Und wer dann noch tiefer in die Materie einsteigen möchte, dem oder der sei als Ausgangspunkt die Ho-mepage vom diesjährigen Krisenspiel empfohlen: www.krisenspiel.de

Bearbeitet von Jan-Thilo Klimisch

Montag, Dezember 05, 2005

Policy Empfehlungen Somalia

von Corinna Jentzsch und Martin Ottmann

Eine sinnvolle Politik zur Bewältigung des Konflikts in Somalia kann nur auf der Grundlage einer intensiven Analyse der momentanen politischen Zustände geschehen. Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft müssen die territoriale Fragmentierung und die Aufsplitterung der maßgeblichen Konfliktparteien in dem Land am Horn von Afrika berücksichtigen. Hinzu kommt, dass die Präferenzen dieser Akteure von einer vielfältig ausgeprägten Kriegsökonomie bestimmt werden und damit sehr widersprüchlich sind.

Diese komplizierte Situation spiegelt sich auch in dem seit 2004 laufenden Friedensprozess. Die bisherigen Ergebnisse – die Bildung einer Übergangsregierung und eines Übergangsparlaments – sind nur sehr bedingt als Erfolge auf dem Weg zu einem tragfähigen Frieden und einem stabilen Somalia zu betrachten. Aus diesem Grund ist internationalen Akteuren ein vorsichtiger Umgang mit Übergangsregierung und Übergangsparlament zu empfehlen. Es gilt die inhärente Gefahr dieses Friedensprozesses – nämlich die Stärkung und Legitimierung einer einzelnen Kriegspartei – zu vermeiden und den Konflikt nicht durch internationales Engagement zu verlängern und im schlechtesten Fall zu verschärfen. Stattdessen sollte der Versuch gestartet werden einen nationalen Konsens zwischen den Konfliktparteien anzustreben.

Ein weiterer Kritikpunkt des Friedensprozesses ist die mangelnde Auseinandersetzung mit den in Somalia vorherrschenden Kriegsökonomien. Ohne erfolgversprechende alternative Anreizstrukturen ist es nicht möglich, die Interessen der Akteure an einem Fortbestehen des momentanen Zustands zu ändern und damit den Übergang von einer Kriegsökonomie in eine Friedensökonomie zu bewerkstelligen.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Interessen der regionalen Mächte in einen konstruktiven Friedensprozess eingebunden werden sollten. Geschieht dies nicht, wird sich die aktuelle Tendenz dieser Staaten in Somalia eigene Interessen zu verfolgen weiter verstärken. Sollten dadurch die fragilen Zustände innerhalb Somalias aus dem Gleichgewicht gebracht werden, besteht das Risiko einer plötzlichen Eskalation.

Vor dem Hintergrund dieser Kritik an dem aktuellen Friedensprozess ergeben sich folgende Policy-Empfehlungen für ein konstruktives Engagement der internationalen Gemeinschaft in Somalia.
- Der Forderung des Übergangspräsidenten, eine 20.000 Mann starke Truppe der AU oder UN zu seiner Unterstützung zu entsenden sollte nicht nachgegeben werden, da dies eine starke Parteinahme der internationalen und regionalen Partner für eine Konfliktpartei suggerieren würde.
- Die Erfahrungen der internationalen Gemeinschaft aus dem staatlichen Wiederaufbau von Afghanistan sollten herangezogen werden. Hierbei ist vor allem die Frage bedeutsam, wie eine Friedensregelung für die Konfliktparteien „lukrativ“ gemacht werden kann, um den Übergang zu einer Friedensökonomie einzuleiten.
- Das Potential von zivilgesellschaftlichen Gruppen sollte gewinnbringend in den Friedensprozess eingebracht werden. Hier stellt sich die Frage, welchen Beitrag solche Gruppen leisten können, um Vertrauen in staatliche Strukturen zu stärken und den Konflikt damit zu de-eskalieren.
- Die territoriale Zersplitterung Somalias erfordert einen Lösungsansatz, der über das simple Einfordern der territorialen und nationalen Integrität Somalias hinausgehen muss. Die internationale Gemeinschaft muss alternative Wege finden, um mit der Frage der zukünftigen Gestalt eines somalischen Staates umzugehen. Hier können eventuell Erfahrungen aus anderen – auf dem ersten Blick nicht vergleichbaren – Konflikten gewinnbringend nutzbar gemacht werden.

Prinzipiell stehen internationale Akteure im Falle Somalias vor mehreren grundsätzlichen Herausforderungen, die nicht nur für die Lösung des Konflikts in Somalia von Bedeutung sind:

Erstens, wie plausibel ist es von außen zu intervenieren, wenn eine solche Intervention die reelle Gefahr beinhaltet, kontraproduktiv zu wirken? Welche alternativen Einwirkungsmöglichkeiten ergeben sich dann für internationale Akteure?

Zweitens, wie sinnvoll ist es, Staatlichkeit zu exportieren, wenn das Konzept „Staat“ an sich herausgefordert ist?

Drittens, wie sind Funktionsäquivalente von Staatlichkeit in zerfallenen Staaten durch die internationale Gemeinschaft zu beurteilen und welche Rolle können sie in einem Friedensprozess spielen?

Freitag, Dezember 02, 2005

Der Konflikt im Norden Ugandas : lokaler Zynismus der Macht?

Seit dem Sieg des Mouvements unter Präsident Museveni 1986 verhindert die Lord Resistance Army (LRA) unter der Führung von Josef Kony die effektive Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols im Norden Ugandas. Nach 20 Jahren häufen sich die Anzeichen auf eine endgültige Lösung des Konflikts mit der (pseudo)religiösen Gruppe unter Kony. Ein verbleibender Kern der Rebellen wurde im Sommer 2005 nach einer Militäroffensive aus dem Staatsgebiet in den Sudan und die DRC getrieben. Andererseits wurde Kony schon öfters für tot erklärt.

Historischer Abriss

Trotz der obskuren Mischung aus religiösen und magischen Praktiken hat die LRA politische Wurzeln. Nach Musevenis Sieg über Obote und der nachfolgenden Integration von Rebellengruppen hat sich die LRA in einem Machtvakuum als Sprecher der Acholi im Norden des Landes profiliert. Ziel war es, die Regierung Musevenis durch eine Regierung nach strenger Auslegung der 10 Gebote zu ersetzen. Die Mehrzahl der Aktionen richtete sich im Folgenden aber gegen die Bevölkerung der Acholi, die (nach biblischen Vorgaben) verstümmelt und deren Kinder, seit 1986 30.000, entführt werden. 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge resultieren aus der lokalen Terrorisierung. Derzeit lebt die Mehrzahl dieser Vertriebenen in Lagern für Binnenflüchtlinge (IDP's), die gleichzeitig Angriffsziele für die Rebellen sind.
Bis 2002 war zudem offiziell bekannt, dass die sudanesische Regierung in Karthoum die LRA mit Waffen und Material unterstützte, als Gegenzug zur ugandischen Unterstützung der SPLA.

Aktuelle Situation
Der Kampf um den Norden des Landes kann seit 1995 als Krieg klassifiziert werden, der 1997 seinen Höhepunkt erreichte und sich seitdem auf punktuelle, aber weitgestreute Anschläge konzentriert. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die staatliche Sicherheit zu keinem Zeitpunkt in Gefahr war. Im Sommer 2005 konnte die ugandische Armee (UPDF) erhebliche Gewinne gegenüber den Rebellen erzielen und diese bis in den Südsudan verfolgen. Jedoch haben LRA-Rebellen in den beiden vergangenen Monaten wiederholt Fahrzeuge von humanitären Organisationen sowie Zivilisten attackiert. Gleichzeitig ist seit dem 30.11. die Rede davon, dass Josef Kony über den LRA-Kommandant Vincent Otti Verhandlunsbereitschaft für einen Frieden signalisiert hat. Anfang Oktober hat der ICC fünf Haftbefehle für Josef Kony, Vincent Otti und drei weitere hochrangige Offiziere ausgeschrieben. Dieser Zug ist jedoch nicht ganz unumstritten: auch wenn er bei der Regierung auf Zuspruch stößt, hindert er in anderen Fällen den Friedenswillen und die Integration in der betroffenen Region.
Mittlerweile beteiligen sich drei Armeen (SAF, SPLA und UPDF) im Süden Sudans am Kampf gegen die verbleibenden Strukturen der LRA. Die Spitze um Kony wird derzeit im Sudan vermutet, wo die Kooperation mit dort agierenden Rebellengruppen (ugandischer und ruandischer Provinenz) nicht ausgeschlossen ist.
Die LRA ist dabei nicht der einzige Konfliktherd in Uganda. Die Regierung steht vor innenpolitischen Spannungen bezüglich der Wahl in 2006, vor bewaffnetem, grenzüberschreitendem Vieherdendiebstahl (K‘jong-Krieger) und Grenzkonflikten mit der DRC. Erschwert wird die Situation außerdem durch Spannungen mit Ruanda.

Konfliktdimensionen
Das bedeutendste Charakteristikum, neben dem ‘Unpolitischsein‘ der LRA ist die kontinuierliche Entführung von Kindern zu Zwecken der militärischen, sexuellen und ökonomischen Ausbeutung; durch Eingliederungen in religiöse Praktiken und Morden an nahen Verwandten werden sie systematisch von der Gesellschaft entfremdet.
Sollte der Konflikt zu diesem Zeitpunkt vor einer Lösung stehen, d.h. einer dauerhaften Beilegung der kriegerischen Aktionen, eröffnen sich folgende Dimensionen für den Analysten und Politikberater: a) sozioökonomische Integration der 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge und wirtschaftlicher Aufbau der bisher vernachlässigten Region im Norden Ugandas; b) ökonomische und psychologische Re-Integration der Kindersoldaten in die Gesellschaft, c) Auffangen der Soldaten in militärischen Strukturen und/oder systematische Entwaffnung.
Daraus und aus den aktuellen Ereignissen ergibt sich ein Menge an Fragen:

1. Wie analysiert ein Politikwissenschaftler überhaupt eine als solche bezeichnete unpolitische, terroristische Bewegung?
2. Wie sind die derzeitigen Schritte im Friedensprozess zu bewerten? Wie sind die neuesten Übergriffe auf humanitäre Organisationen und Zivilisten einzuordnen? Handelt es sich nur um Zeitschindung zugunsten einer Neuordnung oder zeichnet sich vor allem in der internationalen Kooperation eine dauerhafte Beilegung des Konfliktes ab?
3. Wie verhalten sich die Haftbefehle des ICC vom Oktober 2005 zu der Bereitschaft der Bevölkerung (70%) zu einer teilweisen Amnestie (Report Forgotten Voices)?
4. Welche Integrationsleistungen kann die ugandische Armee aufbringen? Welche Bedeutung ist den traumatisierten Kindersoldaten in der Konfliktanalyse und Politikberatung zuzurechnen?
5. In welcher Weise tragen Policy-Empfehlungen dem autokratischen Führungsstil Musevenis Rechnung, der den Konflikt im Norden bisher nicht als erste Priorität anzuerkennen scheint und auf die militärische Lösung setzt.

Links
International Crisis Group
BBC Country File
Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF)
UN IRIN-News - Zur Struktur der LRA

News
Allafrica
Human Security Gateway - Zum Friedensprozess

Bearbeitet von Stefan Skupien

Donnerstag, Dezember 01, 2005

Fragile Staatlichkeit in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit


Hallo Leute,
hier eine kleine Leseempfehlung zur Stand der Diskussion des Themas "Fragile Staatlichkeit" innerhalb der deutschen EZ. Besonders lesenwert der Artikel über Somalia, in dem besonders noch einmal die Rolle der Clans und ähnlichen informellen Institutionen bei der Bereitstellung von Äquivalenten von Staatlichkeit, aber auch die Grenzen einer solchen Regulierung aufgezeigt wird.
Gruß,
Cornelius

Entwicklung und ländlicher Raum
39. Jahrgang
Heft 6/05

Fragile Staaten aus dem Blickfeld der ländlichen Bevölkerung
Dr. Armin K. Nolting, Dr. Roman Poeschke
Fragile Staaten stellen eine der großen Herausforderungen unserer Zeit dar. Daher geraten sie zunehmend in das Blickfeld von internationaler Politik und Entwicklungszusammenarbeit. Allerdings wird dabei die Perspektive der Menschen nicht immer genügend eingebracht. Die internationale Gemeinschaft rückt eigene sicherheitspolitische Interessen in den Vordergrund – Stichwort «Kampf gegen den Terrorismus». Für die Menschen in fragilen Staaten stehen dagegen das eigene Überleben und die Suche nach Entwicklungsmöglichkeiten für sich und ihre Gemeinschaften im Mittelpunkt.

Warum zerfallen Staaten, und was genau passiert dabei?
Dr. Conrad Schetter
Der Begriff des Staatszerfalls erlebte in den letzten Jahren eine rasante Konjunktur. Für diesen Kontroll- und Legitimitätsverlust von Staaten werden in der Regel globale Rahmenveränderungen verantwortlich gemacht. Doch lässt die Prominenz dieses Begriffs leicht übersehen, dass das Phänomen defekter Staaten nicht neu ist, sondern seit der Einteilung der Welt in Nationalstaaten existiert. Zudem lässt sich kaum ein einheitliches Bild des Staatsversagens zeichnen. Dennoch sind bestimmte funktionale, institutionelle und territoriale Defizite hierfür charakteristisch.

Länderbeispiele I: Afghanistan Staat im Umbruch
Dr. Bernt Glatzer
Bis 1978 war der afghanische Staat schwach, aber stabil. Stark dagegen waren immer schon ländliche Ordnungsstrukturen, die den Staat ergänzten. Erst der Versuch, auf der Grundlage fremder Ideologien und Militärs über die Köpfe der ländlichen Bevölkerung hinweg einen starken Staat zu etablieren, führte zum Zusammenbruch. Wenn auch das Zentrum zeitweise ausfiel, so bewiesen doch viele staatliche Institutionen in den Provinzen eine erstaunliche Überlebenskraft, und es entstand in breiten Teilen der Bevölkerung ein entschiedenes Staatsbewusstsein.

Länderbeispiel II: Somalia – Land ohne Zentralstaat, aber dennoch funktionsfähig
Jutta Bakonyi, Dr. Ahmed Abdullahi
Somalia ist das bislang längste Beispiel für ein Land ohne zentralen Staat in der modernen Welt. Obwohl es häufig als chaotisch und anarchisch beschrieben wird, hat sich in Somalia längst eine neue Form gesellschaftlicher Organisation herausgebildet. Es scheint sogar, als hätten sich viele Menschen mit dem Zustand der Staatenlosigkeit gut arrangiert.

Länderbeispiel III: Sierra Leone - Staat im Aufbruch
Dr. Nicole Rudner
Nach zehn Jahren Bürgerkrieg mit schwersten Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten besonders an Frauen und Kindern galt Sierra Leone als gescheiterter Staat – als «Failed State». Mit massivem Einsatz von UN-Sicherheitskräften wurde die Demobilisierung im Jahr 2002 abgeschlossen und der Frieden hergestellt. Die staatlichen Organe begannen, ihre Funktionen wieder wahrzunehmen, und die Wirtschaft kommt in Gang. Doch nach wie vor steht das Land auf wackeligen Beinen, ist das Staatswesen als fragil zu bezeichnen. Welchen Beitrag kann die Entwicklungszusammenarbeit zur Stabilisierung des Landes leisten?

Länderbeispiel IV: Bolivien - Staat in Gefahr?
Miguel Urioste, Andrea Kallabis
Die Ereignisse, die dem Rücktritt von Präsident Mesa im Juni 2005 vorausgingen, machten es deutlich: Bolivien, einst Musterland der internationalen Kooperation, befindet sich in einer tiefen politischen Krise. Dennoch würde es dem nunmehr über zwei Jahrzehnte andauernden demokratischen Prozess nicht gerecht, das Land in die Liste der «Failing States» einzureihen. Die kommenden Monate werden entscheidend für die Glaubwürdigkeit der repräsentativen Demokratie in Bolivien sein.

Fragile Staaten – Was lehren uns die Länderbeispiele?
Dr. Jochen Hippler
Afghanistan, Bolivien, Sierra Leone und Somalia – diese vier Länder stehen für unterschiedliche Geschichten von fragilen Staaten. Der Autor dieses Beitrags analysiert die Länderbeispiele auf die unterschiedlichen Ursachen, wie zum Beispiel die Rolle ethnischer Identitäten, Machtanspruch von Clans und anderen substaatlichen Gruppierungen oder die mangelnde gesellschaftliche Repräsentanz in den Regierungen. Als größte Gefahr für einen Staat sieht der Autor Gewalt, die vor allem einen schwachen Staat schnell destabilisieren und ins Chaos stürzen kann.

Überwindung fragiler Strukturen von außen: Was kann Entwicklungspolitik erreichen?
Dr. Stephan Klingebiel
Entwicklungspolitik hat mit der gesamten Bandbreite von fragilen Strukturen in Entwicklungsländern zu tun, die von einzelnen Defiziten etwa bei der Gewährleistung von Sicherheit bis zum Zusammenbruch staatlicher Strukturen reichen kann. Die Einflussmöglichkeiten für Entwicklungspolitik und andere externe Akteure sind zwar immer begrenzt, oftmals bestehen aber Ansatzpunkte, um sowohl Stabilitätserfolge zu sichern als auch schwache staatliche Strukturen überwinden zu helfen.

Samstag, November 26, 2005

Somalia: The Worlds’s Largest Duty-Free Shop

Der Piraten-Überfall auf ein Kreuzfahrtschiff am Horn von Afrika hat für kurze Zeit einen vergessenen Konflikt wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt: den seit 1988 andauernden Konflikt in Somalia. Im Folgenden soll dieser Schleier des Vergessens ein wenig gelichtet und die Lage in Somalia eingehender analysiert werden. Schließlich war die Entwicklung, die Somalia zu Beginn der 1990er Jahre einschlug, gewissermaßen eine Blaupause für Entwicklungen in anderen afrikanischen Staaten.

Historischer Überblick
Mit Ausbruch des Bürgerkriegs gegen den autokratischen Herrscher Somalias Siad Barre im Jahr 1988 nahm ein Konflikt seinen Anfang, der mit der Vertreibung Barres 1991 kein Ende fand, sondern erst richtig an Fahrt aufnahm. Die im Kampf gegen Barre geeinten Fraktionen kämpften fortan gegeneinander – mit Mogadischu als Hauptschauplatz dieser Auseinandersetzungen. Als Folge der Kämpfe kam es unter anderem auch zu Hungernöten, die 1993 zur ersten humanitären Intervention in Somalia führten. Dieses Engagement wurde immer weiter intensiviert, bis es 1995 nach einer Spirale der Eskalation ein relativ abruptes Ende fand. Ab diesem Zeitpunkt war Somalia sich selbst überlassen und der Konflikt ging weiter. Bis zum jetzigen Zeitpunkt scheiterten 15 Friedenskonferenzen und es ist stark anzuzweifeln, ob die 16. Friedenskonferenz erfolgreicher sein wird.

Aktuelle Lage
Somalia ist heute ein vollständig zerfallener Staat, gekennzeichnet von Warlords, Clan-Milizen und einer vitalen Kriegsökonomie. Allerdings ist eine Charakterisierung Somalias als eines der „schwarzen Löcher der Ordnungslosigkeit“ (Joschka Fischer) keineswegs zutreffend. Schon recht bald haben sich in Somalia alternative Formen politischer Herrschaft herausgebildet. Im Nordwesten des Landes befindet sich mit Somaliland, ein Gebiet das sich bereits 1991 für unabhängig erklärt hat. Zwar ist Somaliland international nicht anerkannt, nichtsdestotrotz haben sich stabile politische Strukturen nach demokratischem Vorbild etabliert. Im Nordosten, angrenzend an Somaliland, befindet sich Puntland – eine selbsterklärte autonome Region. Hier existieren ebenfalls relativ stabile, wenn auch autoritäre, Strukturen. Zentral- und Süd-Somalia ist gekennzeichnet von sporadischen Kämpfen, fehlender Regierungsgewalt, Dürren und Hungersnöten. Dieses Gebiet chronischer Instabilität wird durch konkurrierende Clans und Warlords dominiert und ausgebeutet. Im Süden des Landes befindet sich auch die Hauptstadt Mogadischu, die als Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen Clans, Milizen und Warlords dient. Die Stadt ist zwischen den einzelnen Fraktionen aufgeteilt und ohne jegliche formalen Herrschaftsstrukturen. Aufgrund des Fehlens von Regierungsgewalt, Steuern und wirtschaftspolitischen Auflagen, entwickelte sich Mogadischu aber auch zu dem Marktführer in Sachen Telekommunikation in Ost-Afrika.

Seit Oktober 2002 wurde die nunmehr 16. Friedenskonferenz eingeleitet, unterstützt von der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) und dabei vor allem von Kenia. Auch wenn zum ersten Mal alle wichtigen Akteure in das Transitional Federal Government (TFG) eingebunden sind, gehen die Kämpfe weiter. Die Friedensbemühungen werden dadurch erschwert, dass Somaliland sich an dem Friedensprozess nicht beteiligt und existierende Spannungen zwischen Somaliland und Puntland über ein Grenzgebiet eskalierten.

Charakteristika des Konflikts
Durch die clanbasierte Opposition gegen Siad Barre und durch den späteren Kampf um seine Nachfolge sind eine Vielzahl an Bewegungen entstanden, die im Süden jeweils bestimmte Zonen kontrollieren. Entgegen der allgemeinen Darstellung handelt es sich in den Kampfhandlungen in Somalia jedoch nicht nur um einen Kampf verfeindeter Clangruppen, was auf einen Kampf um politische Machtverteilung und Einfluss hindeuten würde. Im „duty-free-shop“ Somalia geht es vor allem auch um ökonomische Machtausübung – die Rechtlosigkeit wird ausgenutzt, um besonders lukrative Geschäfte mit Waffen, Währungen, Drogen und internationalen Hilfslieferungen zu machen. Mit der Verhinderung des Aufbaus eines zentralen Gewaltmonopols und einer einheitlichen Rechtsordnung sorgen die Warlords durch ihre Milizen dafür, dass Sicherheit ein privates Gut bleibt. Nur mithilfe privater Gewaltanwendung können ihre ökonomischen Vorteile realisiert werden. Die (wieder entdeckte) Piraterie dient in diesem Zusammenhang als lukrative neue Einnahmequelle, um den profitreichen Krieg nicht auszutrocknen.

Diesem fragmentierten Status steht ein Übergangspräsident gegenüber, der keinen nationalen Konsens repräsentiert, sondern als ehemaliger Guerilla-Führer, Warlord und Präsident Puntlands eher den Sieg einer Konfliktpartei. In diesem Sinne wird auch seine Forderung nach einer 20.000 Mann starken Truppe der Afrikanischen Union (AU) als Sicherung seines eigenen Status und nicht des Friedensprozesses in Somalia angesehen.

Fragen an das Colloquium

1. Wie beherrschend ist Somalias Kriegsökonomie? Ist die Piraterie eine alte Strategie, die neuen Zwecken dient?
2. Welche Chancen hat der Präsident der Übergangsregierung, wenn ihm vorgeworfen wird, er sei mehr „warlord“ als „statesman“? Wie sind die „alternativen“ Herrschaftsformen von Somaliland und Puntland zu bewerten?
3. Sollte Somaliland international anerkannt werden? Welche Rolle spielt das Festhalten an der Einheit Somalias?
4. Wie ist das erneute internationale Engagement im Rahmen des Anti-Terror-Kampfes in Somalia einzuschätzen?

Zur Einführung/Basisinformationen
International Crisis Group


AKUF


BBC Country Profile



News Links
Allafrica.com


Relief Web



Analysen
BICC Paper 39


Foreign Affairs



bearbeitet von Corinna Jentzsch & Martin Ottmann

Donnerstag, November 24, 2005

Policy Empfehlungen Nepal

von Gregor Reisch

Die Entwicklungen der letzten Woche haben ein Window of Opprtunity geöffnet. Laut Presseberichten haben sich die wichtigsten Parlamentsparteien und die Rebellen auf ein 12-Punkte-Programm geeinigt, das den seit 1996 andauernden Konflikt beenden und Nepal wieder auf den Weg in die Demokratie führen könnte.

"The 12-point understanding does not seek an abolition of the monarchy; it envisages, however, a limited monarchy where the king's powers are well-defined and constitutional. It calls for elections for a constituent assembly, prior to which Maoists will desist from violence and place their arms under the supervision of a credible international agency like the UN. The deal involves compromises on both sides — the opposition parties have agreed to the Maoist demand for a constituent assembly, while the Maoists, for the first time, have indicated their willingness to operate within the parameters of a multiparty democracy." >Times of India

Es gibt zusätzliche Indizien dafür, dass es den Rebellen ernst sein könnte. So unterstrich Partei- und Armeeführer Prachanda in einem Radiointerview mit der BBC oben genannte Eckpunkte und unterließ die üblichen verbalen Angriffe auf den König, nannte allerdings als Ziel der Rebellen erneut die Errichtung einer Republik in Nepal. >BBC

Vor dem Hintergrund einer Waffenlieferung von China an die Royal Nepalese Army (RNA), die eine Eskalation befürchten lässt, sollte sich die UNO baldmöglichst anbieten, die angebotene Waffenniederlegung der Maoisten zu überwachen und sich damit über das Statement von Generalsekretär Annan hinaus dezidiert hinter den Redemokratisierungsprozess zu stellen. Weitere Schritte, die geeignet sind, den König an den Verhandlungstisch zu holen oder aber zu drängen, sollten folgen, da der Monarch in der momentanen Situation als Konfliktpartei, die am meisten zu verlieren hat, das entscheidende Hindernis auf dem Weg zu einer Einigung darstellt.

Um den Konflikt nachhaltig in friedlichere Austragungsformen umzulenken, müssen allerdings weitere Aspekte berücksichtigt werden. Vor allem die Bekämpfung der Korruption und das Erarbeiten einer wirtschaftlichen Perspektive sollten im Vordergrund stehen. Viele Nepalesen fürchten nicht umsonst, dass das Land ohne den Monarchen bzw. die Monarchie vollständig zusammenbrechen würde.