Friedens- und Sicherheitspolitik Online

Informations-Plattform zum tagespolitischen Colloquium am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin im Wintersemester 2005/06

Sonntag, November 20, 2005

Nepal – Vergessener Krieg und Schlachtfeld im „war on terrorism“?

Hintergrund des Konflikts
Die aktuelle Instabilität Nepals geht auf die Spannung zwischen den Polen einer langen monarchischen Tradition und Bestrebungen nach Demokratisierung zurück. Nachdem es 1959/60 ein kurzes Intermezzo eines demokratischen Mehrparteiensystems gab, stieg nach repressiven 1960er bis 1970er Jahren der Widerstand gegen die uneingeschränkte Monarchie im Laufe der 1980er Jahre so an, dass der König 1990 Nepal zu einer konstitutionellen Monarchie mit einem Mehrparteiensystem machte. Politische Stabilität kehrte jedoch nicht ein – 1996 begannen maoistische Rebellen einen Kampf gegen das Regime mit dem Ziel der Umwandlung des Entwicklungslands Nepal in eine Volksrepublik. Die blutigen Auseinadersetzungen zwischen der Armee und den Rebellen versetzten das Land in einen Bürgerkriegszustand.

Nach dem Massaker des Kronprinzes an der königlichen Familie 2001 und der folgenden Inthronisierung von König Gyanendra erklärte die neue Regierung im Juli einen unilateralen Waffenstillstand, der von den Rebellen zunächst angenommen, im November jedoch wieder gebrochen wurde. Im Oktober 2002 löste Gyanendra das Parlament auf; Neuwahlen wurden seitdem aufgrund der andauernden Unruhe mit häufigen Gefechten nicht durchgeführt. 2003 schien eine siebenmonatige Waffenruhe eine neue Möglichkeit für eine Verhandlungslösung zu geben, doch nach Brechung des Waffenstillstands folgten die opferreichsten Monate des Konfliktes (1000 Tote in vier Monaten).

Aktuelle Lage / Konfliktparteien
Eine erneute Zuspitzung der Lage ist seit Anfang 2005 zu beobachten. Am 1. Februar entließ der König den Premierminister und regiert seitdem direkt. Etliche Politiker wurden unter Hausarrest gestellt, verfassungsmäßige Rechte außer Kraft gesetzt und die Zensur verstärkt. Neben der dem König unterstehenden Armee und den maoistischen Aufständischen spielen auch die verstärkt Repressionen ausgesetzten ehemals parlamentarischen Kräfte eine Rolle, die nun teils eine Abdankung des Königs zugunsten einer mehr-Parteien-Regierung fordern. Die Maoisten verfolgen neben Guerilla-artiger Kampfführung einen pragmatischen politischen Kurs, durch den sie sich die realistische Offenhaltung ihrer politischen Ziele erhalten wollen. Insofern schließen einige Beobachter auch eine zeitweise Zusammenarbeit maoistischer und demokratischer Kräfte, die sich wiederum seit 1990 teils in Korruption und intransparenter elitärer Politik verstrickte, gegen den Palast nicht aus.
Die Menschenrechtslage hat sich seit des königlichen Coups verschlechtert: zu den Menschenrechtsverletzungen seitens der Maoisten traten verstärkte Repressionen von staatlicher Seite hinzu. Jüngst wurde ein neuer Code-of-conduct für NGOs erlassen, der diese ihrer Unabhängigkeit berauben und ihre Demokratisierungsstrategien unterminieren soll. Die humanitäre Lage ist durch den Bürgerkrieg ebenfalls verschlechtert worden. Neben den Lasten des Krieges für die nepalesische Bevölkerung leben in Nepal sowohl tibetische, als auch besonders buthanische Flüchtlinge (ca. 100.000 in Flüchtlingslagern im Osten des Landes), die von insbesondere internationaler Hilfe abhängig sind.

Westliche Staaten haben in den vergangenen Jahren zumeist die Palast-treuen Regierungen unterstützt, auch in Form von Waffenlieferungen. Die USA betrachten die Maoisten als Terroristen, die im Rahmen des Kriegs gegen den Terrorismus zu bekämpfen seien; aber auch EU-Staaten unterstützten König Gyanendra, wie etwa an dem Eklat innerhalb der belgischen Regierung 2002 aufgrund einer genehmigten Waffenlieferung an Nepal deutlich wurde (vgl. NZZ v. 28.08.2002: 5). Diplomatisch versuchen die EU und Organisationen der UN, aber in diesem Jahr auch die USA, die Regierung zur Beachtung der Menschenrechte und Wiedereinführung demokratischer Verfahren zu bewegen.
Indien, das auf die Einführung der konstitutionellen Monarchie 1990 mit hingewirkt hatte, ist aufgrund der Lage Nepals vor China an einer Verhandlungslösung interessiert, die den Maoisten keine zu großen Chancen lässt (2001 wurde sogar nach nepalesischer Anfrage militärische Unterstützung gegen die Maoisten nicht ausgeschlossen). Als Nachbar ist Indien regelmäßig im Gespräch mit der nepalesischen Regierung und versucht, auf Demokratisierung zu drängen; dabei besteht besonderes Interesse an Stabiltität, auch aus Angst vor grenzüberschreitenden spill-over-Effekten. China scheint König Gyanendra durchaus zu unterstützen; der König reiste bereits mehrfach nach Hongkong, und verfolgte eine China-freundliche Politik gegenüber Exil-Tibetern (vgl. Asia Times 16.03.2005).

Fragen für das Colloquium
- Wieso bekommt der Konflikt vergleichsweise geringe internationale Aufmerksamkeit? Was könnte zu einer veränderten Wahrnehmung beitragen? Ist die Nichtbeachtung des nepalesischen Konflikts ein Beispiel von vernachlässigter moralischer Pflicht der internationalen Gemeinschaft?
- Welche Entwicklung ist in der Strategie der maoistischen Rebellen zu erwarten? Werden sie sich an Verhandlungen beteiligen und in einen politischen Prozess einbinden lassen oder handelt es sich – wie von den USA wahrgenommen – um eine terroristische Vereinigung, die es militärisch zu besiegen gilt?
- Welche mittel- und langfristigen Strategien sind für eine demokratische Stabilisierung Nepals denkbar? Sind diese Möglichkeiten realistisch?

Zur Einführung
International Crisis Group


AKUF


UN Nepal Information Platform


BBC Country Profile Nepal



News Links
ReliefWeb


Asia Times


ISN Security Watch



bearbeitet von Friedrich Arndt