Friedens- und Sicherheitspolitik Online

Informations-Plattform zum tagespolitischen Colloquium am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin im Wintersemester 2005/06

Samstag, November 26, 2005

Somalia: The Worlds’s Largest Duty-Free Shop

Der Piraten-Überfall auf ein Kreuzfahrtschiff am Horn von Afrika hat für kurze Zeit einen vergessenen Konflikt wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt: den seit 1988 andauernden Konflikt in Somalia. Im Folgenden soll dieser Schleier des Vergessens ein wenig gelichtet und die Lage in Somalia eingehender analysiert werden. Schließlich war die Entwicklung, die Somalia zu Beginn der 1990er Jahre einschlug, gewissermaßen eine Blaupause für Entwicklungen in anderen afrikanischen Staaten.

Historischer Überblick
Mit Ausbruch des Bürgerkriegs gegen den autokratischen Herrscher Somalias Siad Barre im Jahr 1988 nahm ein Konflikt seinen Anfang, der mit der Vertreibung Barres 1991 kein Ende fand, sondern erst richtig an Fahrt aufnahm. Die im Kampf gegen Barre geeinten Fraktionen kämpften fortan gegeneinander – mit Mogadischu als Hauptschauplatz dieser Auseinandersetzungen. Als Folge der Kämpfe kam es unter anderem auch zu Hungernöten, die 1993 zur ersten humanitären Intervention in Somalia führten. Dieses Engagement wurde immer weiter intensiviert, bis es 1995 nach einer Spirale der Eskalation ein relativ abruptes Ende fand. Ab diesem Zeitpunkt war Somalia sich selbst überlassen und der Konflikt ging weiter. Bis zum jetzigen Zeitpunkt scheiterten 15 Friedenskonferenzen und es ist stark anzuzweifeln, ob die 16. Friedenskonferenz erfolgreicher sein wird.

Aktuelle Lage
Somalia ist heute ein vollständig zerfallener Staat, gekennzeichnet von Warlords, Clan-Milizen und einer vitalen Kriegsökonomie. Allerdings ist eine Charakterisierung Somalias als eines der „schwarzen Löcher der Ordnungslosigkeit“ (Joschka Fischer) keineswegs zutreffend. Schon recht bald haben sich in Somalia alternative Formen politischer Herrschaft herausgebildet. Im Nordwesten des Landes befindet sich mit Somaliland, ein Gebiet das sich bereits 1991 für unabhängig erklärt hat. Zwar ist Somaliland international nicht anerkannt, nichtsdestotrotz haben sich stabile politische Strukturen nach demokratischem Vorbild etabliert. Im Nordosten, angrenzend an Somaliland, befindet sich Puntland – eine selbsterklärte autonome Region. Hier existieren ebenfalls relativ stabile, wenn auch autoritäre, Strukturen. Zentral- und Süd-Somalia ist gekennzeichnet von sporadischen Kämpfen, fehlender Regierungsgewalt, Dürren und Hungersnöten. Dieses Gebiet chronischer Instabilität wird durch konkurrierende Clans und Warlords dominiert und ausgebeutet. Im Süden des Landes befindet sich auch die Hauptstadt Mogadischu, die als Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen Clans, Milizen und Warlords dient. Die Stadt ist zwischen den einzelnen Fraktionen aufgeteilt und ohne jegliche formalen Herrschaftsstrukturen. Aufgrund des Fehlens von Regierungsgewalt, Steuern und wirtschaftspolitischen Auflagen, entwickelte sich Mogadischu aber auch zu dem Marktführer in Sachen Telekommunikation in Ost-Afrika.

Seit Oktober 2002 wurde die nunmehr 16. Friedenskonferenz eingeleitet, unterstützt von der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) und dabei vor allem von Kenia. Auch wenn zum ersten Mal alle wichtigen Akteure in das Transitional Federal Government (TFG) eingebunden sind, gehen die Kämpfe weiter. Die Friedensbemühungen werden dadurch erschwert, dass Somaliland sich an dem Friedensprozess nicht beteiligt und existierende Spannungen zwischen Somaliland und Puntland über ein Grenzgebiet eskalierten.

Charakteristika des Konflikts
Durch die clanbasierte Opposition gegen Siad Barre und durch den späteren Kampf um seine Nachfolge sind eine Vielzahl an Bewegungen entstanden, die im Süden jeweils bestimmte Zonen kontrollieren. Entgegen der allgemeinen Darstellung handelt es sich in den Kampfhandlungen in Somalia jedoch nicht nur um einen Kampf verfeindeter Clangruppen, was auf einen Kampf um politische Machtverteilung und Einfluss hindeuten würde. Im „duty-free-shop“ Somalia geht es vor allem auch um ökonomische Machtausübung – die Rechtlosigkeit wird ausgenutzt, um besonders lukrative Geschäfte mit Waffen, Währungen, Drogen und internationalen Hilfslieferungen zu machen. Mit der Verhinderung des Aufbaus eines zentralen Gewaltmonopols und einer einheitlichen Rechtsordnung sorgen die Warlords durch ihre Milizen dafür, dass Sicherheit ein privates Gut bleibt. Nur mithilfe privater Gewaltanwendung können ihre ökonomischen Vorteile realisiert werden. Die (wieder entdeckte) Piraterie dient in diesem Zusammenhang als lukrative neue Einnahmequelle, um den profitreichen Krieg nicht auszutrocknen.

Diesem fragmentierten Status steht ein Übergangspräsident gegenüber, der keinen nationalen Konsens repräsentiert, sondern als ehemaliger Guerilla-Führer, Warlord und Präsident Puntlands eher den Sieg einer Konfliktpartei. In diesem Sinne wird auch seine Forderung nach einer 20.000 Mann starken Truppe der Afrikanischen Union (AU) als Sicherung seines eigenen Status und nicht des Friedensprozesses in Somalia angesehen.

Fragen an das Colloquium

1. Wie beherrschend ist Somalias Kriegsökonomie? Ist die Piraterie eine alte Strategie, die neuen Zwecken dient?
2. Welche Chancen hat der Präsident der Übergangsregierung, wenn ihm vorgeworfen wird, er sei mehr „warlord“ als „statesman“? Wie sind die „alternativen“ Herrschaftsformen von Somaliland und Puntland zu bewerten?
3. Sollte Somaliland international anerkannt werden? Welche Rolle spielt das Festhalten an der Einheit Somalias?
4. Wie ist das erneute internationale Engagement im Rahmen des Anti-Terror-Kampfes in Somalia einzuschätzen?

Zur Einführung/Basisinformationen
International Crisis Group


AKUF


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News Links
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Relief Web



Analysen
BICC Paper 39


Foreign Affairs



bearbeitet von Corinna Jentzsch & Martin Ottmann