Friedens- und Sicherheitspolitik Online

Informations-Plattform zum tagespolitischen Colloquium am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin im Wintersemester 2005/06

Freitag, Dezember 02, 2005

Der Konflikt im Norden Ugandas : lokaler Zynismus der Macht?

Seit dem Sieg des Mouvements unter Präsident Museveni 1986 verhindert die Lord Resistance Army (LRA) unter der Führung von Josef Kony die effektive Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols im Norden Ugandas. Nach 20 Jahren häufen sich die Anzeichen auf eine endgültige Lösung des Konflikts mit der (pseudo)religiösen Gruppe unter Kony. Ein verbleibender Kern der Rebellen wurde im Sommer 2005 nach einer Militäroffensive aus dem Staatsgebiet in den Sudan und die DRC getrieben. Andererseits wurde Kony schon öfters für tot erklärt.

Historischer Abriss

Trotz der obskuren Mischung aus religiösen und magischen Praktiken hat die LRA politische Wurzeln. Nach Musevenis Sieg über Obote und der nachfolgenden Integration von Rebellengruppen hat sich die LRA in einem Machtvakuum als Sprecher der Acholi im Norden des Landes profiliert. Ziel war es, die Regierung Musevenis durch eine Regierung nach strenger Auslegung der 10 Gebote zu ersetzen. Die Mehrzahl der Aktionen richtete sich im Folgenden aber gegen die Bevölkerung der Acholi, die (nach biblischen Vorgaben) verstümmelt und deren Kinder, seit 1986 30.000, entführt werden. 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge resultieren aus der lokalen Terrorisierung. Derzeit lebt die Mehrzahl dieser Vertriebenen in Lagern für Binnenflüchtlinge (IDP's), die gleichzeitig Angriffsziele für die Rebellen sind.
Bis 2002 war zudem offiziell bekannt, dass die sudanesische Regierung in Karthoum die LRA mit Waffen und Material unterstützte, als Gegenzug zur ugandischen Unterstützung der SPLA.

Aktuelle Situation
Der Kampf um den Norden des Landes kann seit 1995 als Krieg klassifiziert werden, der 1997 seinen Höhepunkt erreichte und sich seitdem auf punktuelle, aber weitgestreute Anschläge konzentriert. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die staatliche Sicherheit zu keinem Zeitpunkt in Gefahr war. Im Sommer 2005 konnte die ugandische Armee (UPDF) erhebliche Gewinne gegenüber den Rebellen erzielen und diese bis in den Südsudan verfolgen. Jedoch haben LRA-Rebellen in den beiden vergangenen Monaten wiederholt Fahrzeuge von humanitären Organisationen sowie Zivilisten attackiert. Gleichzeitig ist seit dem 30.11. die Rede davon, dass Josef Kony über den LRA-Kommandant Vincent Otti Verhandlunsbereitschaft für einen Frieden signalisiert hat. Anfang Oktober hat der ICC fünf Haftbefehle für Josef Kony, Vincent Otti und drei weitere hochrangige Offiziere ausgeschrieben. Dieser Zug ist jedoch nicht ganz unumstritten: auch wenn er bei der Regierung auf Zuspruch stößt, hindert er in anderen Fällen den Friedenswillen und die Integration in der betroffenen Region.
Mittlerweile beteiligen sich drei Armeen (SAF, SPLA und UPDF) im Süden Sudans am Kampf gegen die verbleibenden Strukturen der LRA. Die Spitze um Kony wird derzeit im Sudan vermutet, wo die Kooperation mit dort agierenden Rebellengruppen (ugandischer und ruandischer Provinenz) nicht ausgeschlossen ist.
Die LRA ist dabei nicht der einzige Konfliktherd in Uganda. Die Regierung steht vor innenpolitischen Spannungen bezüglich der Wahl in 2006, vor bewaffnetem, grenzüberschreitendem Vieherdendiebstahl (K‘jong-Krieger) und Grenzkonflikten mit der DRC. Erschwert wird die Situation außerdem durch Spannungen mit Ruanda.

Konfliktdimensionen
Das bedeutendste Charakteristikum, neben dem ‘Unpolitischsein‘ der LRA ist die kontinuierliche Entführung von Kindern zu Zwecken der militärischen, sexuellen und ökonomischen Ausbeutung; durch Eingliederungen in religiöse Praktiken und Morden an nahen Verwandten werden sie systematisch von der Gesellschaft entfremdet.
Sollte der Konflikt zu diesem Zeitpunkt vor einer Lösung stehen, d.h. einer dauerhaften Beilegung der kriegerischen Aktionen, eröffnen sich folgende Dimensionen für den Analysten und Politikberater: a) sozioökonomische Integration der 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge und wirtschaftlicher Aufbau der bisher vernachlässigten Region im Norden Ugandas; b) ökonomische und psychologische Re-Integration der Kindersoldaten in die Gesellschaft, c) Auffangen der Soldaten in militärischen Strukturen und/oder systematische Entwaffnung.
Daraus und aus den aktuellen Ereignissen ergibt sich ein Menge an Fragen:

1. Wie analysiert ein Politikwissenschaftler überhaupt eine als solche bezeichnete unpolitische, terroristische Bewegung?
2. Wie sind die derzeitigen Schritte im Friedensprozess zu bewerten? Wie sind die neuesten Übergriffe auf humanitäre Organisationen und Zivilisten einzuordnen? Handelt es sich nur um Zeitschindung zugunsten einer Neuordnung oder zeichnet sich vor allem in der internationalen Kooperation eine dauerhafte Beilegung des Konfliktes ab?
3. Wie verhalten sich die Haftbefehle des ICC vom Oktober 2005 zu der Bereitschaft der Bevölkerung (70%) zu einer teilweisen Amnestie (Report Forgotten Voices)?
4. Welche Integrationsleistungen kann die ugandische Armee aufbringen? Welche Bedeutung ist den traumatisierten Kindersoldaten in der Konfliktanalyse und Politikberatung zuzurechnen?
5. In welcher Weise tragen Policy-Empfehlungen dem autokratischen Führungsstil Musevenis Rechnung, der den Konflikt im Norden bisher nicht als erste Priorität anzuerkennen scheint und auf die militärische Lösung setzt.

Links
International Crisis Group
BBC Country File
Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF)
UN IRIN-News - Zur Struktur der LRA

News
Allafrica
Human Security Gateway - Zum Friedensprozess

Bearbeitet von Stefan Skupien