Friedens- und Sicherheitspolitik Online

Informations-Plattform zum tagespolitischen Colloquium am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin im Wintersemester 2005/06

Donnerstag, Dezember 01, 2005

Fragile Staatlichkeit in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit


Hallo Leute,
hier eine kleine Leseempfehlung zur Stand der Diskussion des Themas "Fragile Staatlichkeit" innerhalb der deutschen EZ. Besonders lesenwert der Artikel über Somalia, in dem besonders noch einmal die Rolle der Clans und ähnlichen informellen Institutionen bei der Bereitstellung von Äquivalenten von Staatlichkeit, aber auch die Grenzen einer solchen Regulierung aufgezeigt wird.
Gruß,
Cornelius

Entwicklung und ländlicher Raum
39. Jahrgang
Heft 6/05

Fragile Staaten aus dem Blickfeld der ländlichen Bevölkerung
Dr. Armin K. Nolting, Dr. Roman Poeschke
Fragile Staaten stellen eine der großen Herausforderungen unserer Zeit dar. Daher geraten sie zunehmend in das Blickfeld von internationaler Politik und Entwicklungszusammenarbeit. Allerdings wird dabei die Perspektive der Menschen nicht immer genügend eingebracht. Die internationale Gemeinschaft rückt eigene sicherheitspolitische Interessen in den Vordergrund – Stichwort «Kampf gegen den Terrorismus». Für die Menschen in fragilen Staaten stehen dagegen das eigene Überleben und die Suche nach Entwicklungsmöglichkeiten für sich und ihre Gemeinschaften im Mittelpunkt.

Warum zerfallen Staaten, und was genau passiert dabei?
Dr. Conrad Schetter
Der Begriff des Staatszerfalls erlebte in den letzten Jahren eine rasante Konjunktur. Für diesen Kontroll- und Legitimitätsverlust von Staaten werden in der Regel globale Rahmenveränderungen verantwortlich gemacht. Doch lässt die Prominenz dieses Begriffs leicht übersehen, dass das Phänomen defekter Staaten nicht neu ist, sondern seit der Einteilung der Welt in Nationalstaaten existiert. Zudem lässt sich kaum ein einheitliches Bild des Staatsversagens zeichnen. Dennoch sind bestimmte funktionale, institutionelle und territoriale Defizite hierfür charakteristisch.

Länderbeispiele I: Afghanistan Staat im Umbruch
Dr. Bernt Glatzer
Bis 1978 war der afghanische Staat schwach, aber stabil. Stark dagegen waren immer schon ländliche Ordnungsstrukturen, die den Staat ergänzten. Erst der Versuch, auf der Grundlage fremder Ideologien und Militärs über die Köpfe der ländlichen Bevölkerung hinweg einen starken Staat zu etablieren, führte zum Zusammenbruch. Wenn auch das Zentrum zeitweise ausfiel, so bewiesen doch viele staatliche Institutionen in den Provinzen eine erstaunliche Überlebenskraft, und es entstand in breiten Teilen der Bevölkerung ein entschiedenes Staatsbewusstsein.

Länderbeispiel II: Somalia – Land ohne Zentralstaat, aber dennoch funktionsfähig
Jutta Bakonyi, Dr. Ahmed Abdullahi
Somalia ist das bislang längste Beispiel für ein Land ohne zentralen Staat in der modernen Welt. Obwohl es häufig als chaotisch und anarchisch beschrieben wird, hat sich in Somalia längst eine neue Form gesellschaftlicher Organisation herausgebildet. Es scheint sogar, als hätten sich viele Menschen mit dem Zustand der Staatenlosigkeit gut arrangiert.

Länderbeispiel III: Sierra Leone - Staat im Aufbruch
Dr. Nicole Rudner
Nach zehn Jahren Bürgerkrieg mit schwersten Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten besonders an Frauen und Kindern galt Sierra Leone als gescheiterter Staat – als «Failed State». Mit massivem Einsatz von UN-Sicherheitskräften wurde die Demobilisierung im Jahr 2002 abgeschlossen und der Frieden hergestellt. Die staatlichen Organe begannen, ihre Funktionen wieder wahrzunehmen, und die Wirtschaft kommt in Gang. Doch nach wie vor steht das Land auf wackeligen Beinen, ist das Staatswesen als fragil zu bezeichnen. Welchen Beitrag kann die Entwicklungszusammenarbeit zur Stabilisierung des Landes leisten?

Länderbeispiel IV: Bolivien - Staat in Gefahr?
Miguel Urioste, Andrea Kallabis
Die Ereignisse, die dem Rücktritt von Präsident Mesa im Juni 2005 vorausgingen, machten es deutlich: Bolivien, einst Musterland der internationalen Kooperation, befindet sich in einer tiefen politischen Krise. Dennoch würde es dem nunmehr über zwei Jahrzehnte andauernden demokratischen Prozess nicht gerecht, das Land in die Liste der «Failing States» einzureihen. Die kommenden Monate werden entscheidend für die Glaubwürdigkeit der repräsentativen Demokratie in Bolivien sein.

Fragile Staaten – Was lehren uns die Länderbeispiele?
Dr. Jochen Hippler
Afghanistan, Bolivien, Sierra Leone und Somalia – diese vier Länder stehen für unterschiedliche Geschichten von fragilen Staaten. Der Autor dieses Beitrags analysiert die Länderbeispiele auf die unterschiedlichen Ursachen, wie zum Beispiel die Rolle ethnischer Identitäten, Machtanspruch von Clans und anderen substaatlichen Gruppierungen oder die mangelnde gesellschaftliche Repräsentanz in den Regierungen. Als größte Gefahr für einen Staat sieht der Autor Gewalt, die vor allem einen schwachen Staat schnell destabilisieren und ins Chaos stürzen kann.

Überwindung fragiler Strukturen von außen: Was kann Entwicklungspolitik erreichen?
Dr. Stephan Klingebiel
Entwicklungspolitik hat mit der gesamten Bandbreite von fragilen Strukturen in Entwicklungsländern zu tun, die von einzelnen Defiziten etwa bei der Gewährleistung von Sicherheit bis zum Zusammenbruch staatlicher Strukturen reichen kann. Die Einflussmöglichkeiten für Entwicklungspolitik und andere externe Akteure sind zwar immer begrenzt, oftmals bestehen aber Ansatzpunkte, um sowohl Stabilitätserfolge zu sichern als auch schwache staatliche Strukturen überwinden zu helfen.