Friedens- und Sicherheitspolitik Online

Informations-Plattform zum tagespolitischen Colloquium am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin im Wintersemester 2005/06

Montag, Dezember 05, 2005

Policy Empfehlungen Somalia

von Corinna Jentzsch und Martin Ottmann

Eine sinnvolle Politik zur Bewältigung des Konflikts in Somalia kann nur auf der Grundlage einer intensiven Analyse der momentanen politischen Zustände geschehen. Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft müssen die territoriale Fragmentierung und die Aufsplitterung der maßgeblichen Konfliktparteien in dem Land am Horn von Afrika berücksichtigen. Hinzu kommt, dass die Präferenzen dieser Akteure von einer vielfältig ausgeprägten Kriegsökonomie bestimmt werden und damit sehr widersprüchlich sind.

Diese komplizierte Situation spiegelt sich auch in dem seit 2004 laufenden Friedensprozess. Die bisherigen Ergebnisse – die Bildung einer Übergangsregierung und eines Übergangsparlaments – sind nur sehr bedingt als Erfolge auf dem Weg zu einem tragfähigen Frieden und einem stabilen Somalia zu betrachten. Aus diesem Grund ist internationalen Akteuren ein vorsichtiger Umgang mit Übergangsregierung und Übergangsparlament zu empfehlen. Es gilt die inhärente Gefahr dieses Friedensprozesses – nämlich die Stärkung und Legitimierung einer einzelnen Kriegspartei – zu vermeiden und den Konflikt nicht durch internationales Engagement zu verlängern und im schlechtesten Fall zu verschärfen. Stattdessen sollte der Versuch gestartet werden einen nationalen Konsens zwischen den Konfliktparteien anzustreben.

Ein weiterer Kritikpunkt des Friedensprozesses ist die mangelnde Auseinandersetzung mit den in Somalia vorherrschenden Kriegsökonomien. Ohne erfolgversprechende alternative Anreizstrukturen ist es nicht möglich, die Interessen der Akteure an einem Fortbestehen des momentanen Zustands zu ändern und damit den Übergang von einer Kriegsökonomie in eine Friedensökonomie zu bewerkstelligen.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Interessen der regionalen Mächte in einen konstruktiven Friedensprozess eingebunden werden sollten. Geschieht dies nicht, wird sich die aktuelle Tendenz dieser Staaten in Somalia eigene Interessen zu verfolgen weiter verstärken. Sollten dadurch die fragilen Zustände innerhalb Somalias aus dem Gleichgewicht gebracht werden, besteht das Risiko einer plötzlichen Eskalation.

Vor dem Hintergrund dieser Kritik an dem aktuellen Friedensprozess ergeben sich folgende Policy-Empfehlungen für ein konstruktives Engagement der internationalen Gemeinschaft in Somalia.
- Der Forderung des Übergangspräsidenten, eine 20.000 Mann starke Truppe der AU oder UN zu seiner Unterstützung zu entsenden sollte nicht nachgegeben werden, da dies eine starke Parteinahme der internationalen und regionalen Partner für eine Konfliktpartei suggerieren würde.
- Die Erfahrungen der internationalen Gemeinschaft aus dem staatlichen Wiederaufbau von Afghanistan sollten herangezogen werden. Hierbei ist vor allem die Frage bedeutsam, wie eine Friedensregelung für die Konfliktparteien „lukrativ“ gemacht werden kann, um den Übergang zu einer Friedensökonomie einzuleiten.
- Das Potential von zivilgesellschaftlichen Gruppen sollte gewinnbringend in den Friedensprozess eingebracht werden. Hier stellt sich die Frage, welchen Beitrag solche Gruppen leisten können, um Vertrauen in staatliche Strukturen zu stärken und den Konflikt damit zu de-eskalieren.
- Die territoriale Zersplitterung Somalias erfordert einen Lösungsansatz, der über das simple Einfordern der territorialen und nationalen Integrität Somalias hinausgehen muss. Die internationale Gemeinschaft muss alternative Wege finden, um mit der Frage der zukünftigen Gestalt eines somalischen Staates umzugehen. Hier können eventuell Erfahrungen aus anderen – auf dem ersten Blick nicht vergleichbaren – Konflikten gewinnbringend nutzbar gemacht werden.

Prinzipiell stehen internationale Akteure im Falle Somalias vor mehreren grundsätzlichen Herausforderungen, die nicht nur für die Lösung des Konflikts in Somalia von Bedeutung sind:

Erstens, wie plausibel ist es von außen zu intervenieren, wenn eine solche Intervention die reelle Gefahr beinhaltet, kontraproduktiv zu wirken? Welche alternativen Einwirkungsmöglichkeiten ergeben sich dann für internationale Akteure?

Zweitens, wie sinnvoll ist es, Staatlichkeit zu exportieren, wenn das Konzept „Staat“ an sich herausgefordert ist?

Drittens, wie sind Funktionsäquivalente von Staatlichkeit in zerfallenen Staaten durch die internationale Gemeinschaft zu beurteilen und welche Rolle können sie in einem Friedensprozess spielen?