Friedens- und Sicherheitspolitik Online

Informations-Plattform zum tagespolitischen Colloquium am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin im Wintersemester 2005/06

Sonntag, Januar 29, 2006

Zivile Konfliktbearbeitung im Zeichen erweiterter Sicherheitspolitik

Im Mai 2004 erließ die Bundesregierung den Aktionsplan „Ziviles Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“. Damit soll zivile Konfliktbearbeitung als Querschnittsaufgabe in Politik und Gesellschaft verankert werden. Ein entsprechender Ressortkreis, bestehend aus Vertretern aller Ministerien, soll eine kohärente und koordinierte Erfüllung dieser Aufgabe gewährleisten. Beratend steht ihm ein Beirat aus Vertretern nicht-staatlicher Organisationen zur Seite. Im Rahmenkonzept heißt es " ... Krisenprävention erfordert (…) häufig eine enge Zusammenarbeit von zivilen und militärischen Komponenten im Rahmen eines Sicherheitskonzepts, das politische, diplomatische, wirtschaftliche, humanitäre und militärische Mittel einschließt. ..."
Daraus folgt, dass nahezu alle sozialen Phänomene einen sicherheitspolitischen Bezug bekommen. Konfliktbearbeitung wird zur Querschnittsaufgabe, an der sicherheits- wie entwicklungspolitische Akteure gleichermaßen beteiligt sein sollen.

Politisch soll, so auch Heidemarie Wieczorek-Zeul, derzeitige Ministerin des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), die Prävention Vorrang haben. Dennoch, Zivile Konfliktbearbeitung bezeichnet den bewussten Einsatz nicht-militärischer Mittel zur Vorsorge, Bearbeitung und Nachsorge von gewaltsamen Auseinandersetzungen. Der Begriff der „Bearbeitung“ impliziert, im Gegensatz zum Begriff der „Austragung“, die Mitwirkung einer ‚neutralen’ Drittpartei. Dabei kann es sich jeweils um in- wie ausländische, staatliche oder nichtstaatliche Akteure handeln.

Anfänge ziviler Konfliktbearbeitung
1992 setzte Boutros Boutros-Ghali mit seiner „Agenda für den Frieden“ den ersten Meilenstein der Zivilen Konfliktbearbeitung. Das Konzept an sich war nicht neu: Wirtschaftssanktionen wurden bereits als ‚Waffe’ gegen das Apartheid-Regime in Südafrika eingesetzt, die EU setzt seit ihrer Gründung auf Frieden durch supranationale Verrechtlichung. Zum Instrument der internationalen Beziehungen konnte es erst mit dem Ende des Kalten Krieges werden. Bis dahin waren die zentralen Akteure souveräne Staaten, die gleichzeitig das Monopol für den Frieden wie für den Krieg innehatten.

ZKB in der Europäischen Union

Im Jahr 1995 fand das Konzept Einlass in die Entwicklungspolitik der Europäischen Union (EU). Als Reaktion auf die „Schocks“ in Somalia und Ruanda entwickelte sich eine selbstkritische Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe. Am Ende stand die Einsicht, dass Hilfe nie neutral ist (und es auch nie war). Mary B. Anderson erfasst in diesem Zusammenhang zwei Kriterien: Wirkungen durch Ressourcentransfer und durch implizite ethnische Botschaften. Aus der Forderung, Entwicklungsprojekte so zu gestalten, dass sie nicht Konflikt verschärfend wirken, leitete sich zudem die Forderung ab, Möglichkeiten zur friedlichen Konfliktlösung zu ergreifen.
Zunächst war dieses ‚neue’ Konzept nur auf die AKP-Staaten begrenzt. Es begann mit der Unterstützung der Organisation Afrikanischer Einheit (OAU) durch Frühwarn- und Peecekeeping Kapazitäten. 1996 wurden von der Generaldirektion für Entwicklungspolitik (DG VIII) folgende Grundsätze aufgestellt: (a) ‚Effective Ownership’ für Staaten und Regionalorganisationen sollten unterstützt werden. (b) Die Arbeit der EU-Kommission sollte sich auf frühzeitige Prävention gewaltträchtiger Konflikte richten (c) Ursachen für Gewalt sollten durch einen kohärenten Gesamtansatz angegangen werden, der auch ökon., ökolog. und soz. Hilfe mit umschließt. (d) Die Analysekapazitäten sollten ausgebaut werden (e) Der Informationsaustausch sollte gefördert werden.
1997 bestätigte der Europäische Rat der gemeinsamen Erklärung „Conflict Prevention and Resolution in Africa“ diese Grundsätze. 1998 wurde diese Position auf alle Entwicklungsländer ausgeweitet.

Es stellt sich die Frage, welche der oben genannten Grundsätze umgesetzt wurden: Zunächst lässt sich festhalten, dass im Bereich Ausbau der Analysefähigkeiten und der Netzwerkbildung einiges getan wurde: So wurden zahlreiche Plattformen zur Vernetzung und zum Informationsaustausch zwischen europäischer Institutionen, der Mitgliedsstaaten und Nichtregierungsorganisationen (NRO) eingerichtet (die Kontaktdaten findet ihr weiter unten).
Das mit den Afrikanisch-Karibisch und Pazifischen Staaten (AKP-Staaten) 2000 verhandelte Cotonou-Abkommen setzt an anderer Stelle an: Entwicklungsgelder werden an die Erfüllung von ‚Good Governance’ Kriterien gebunden, womit eine Politisierung der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) einhergeht. Die Armutsbekämpfung, zur Überwindung struktureller Konfliktursachen soll intensiviert werden. Des Weiteren wird erstmalig die Rolle von NROs explizit in den Vertrag mit aufgenommen und ihre Funktion bei der gewaltlosen Konfliktbearbeitung betont. Auch ist eine Reform der Finanzierung enthalten, die den schnelleren und effektiveren Zufluss von Mitteln garantieren soll. Dennoch, alle Akteure sind sich einig, dass diese Maßnahmen nur dann greifen werden, wenn sie in ein kohärentes Gesamtkonzept eingebunden werden. Im Zielkonflikt mit der Handelspolitik kann sich das Cotonou Abkommen für die AKP Staaten eher hinderlich auswirken. Dieses beabsichtigt, die einseitigen Handelspräferenzen (die auch in den vier Vorgängerabkommen -Lomé I – IV- nur beschränkte Wirkung entfalten konnten) auf lange Sicht abzubauen, um sie so mit den Richtlinien der Welthandelsorganisation kompatibel zu machen.

ZKB in der Bundesrepublik Deutschlands
Der Gedanke der ZKB erhielt in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) erst 1997 und damit recht spät die Aufmerksamkeit der politischen Institutionen. Mit dem Regierungswechsel 1998 wurde Krisenprävention aber zum Schwerpunkt bundesdeutscher Entwicklungs-, Sicherheits- und Außenpolitik erklärt.
Im Juli 2000 erließ der Bundessicherheitsrat, in den auch das BMZ einzog, das Rahmenkonzept „Krisenprävention und Konfliktbeilegung“. Ziel ist es, in allen drei Phasen aktiv auf eine friedliche Konfliktbewältigung einzuwirken. Ausgangspunkt für Maßnahmen ist wie in der EU der erweiterte Sicherheitsbegriff.
Die entwicklungspolitische Debatte ist hier eng verknüpft mit der Schaffung des ‚Zivilen Friedensdienstes’. Damit erhielt die Entwicklungspolitik ihr eigenes Instrument, um direkt auf die Konfliktsituation und seine Austragung Einfluss zu nehmen. Unter der Federführung des BMZs, aber in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt, NROs und Kirchen wurde hierfür 1999 das Rahmenkonzept „Ziviler Friedensdienst“ (ZFD) verabschiedet, für das im Jahr 1999 5 Milliarden DM zur Verfügung standen, die alljährlich aufgestockt worden (2002: 9,1 Mrd. Euro). Oberziel des ZFDs ist es, in Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen Gewalt zu mindern oder zu vermeiden, Verständigung zu fördern und zu einem nachhaltigen und gerechten Frieden beizutragen. Projektziele sind, den gewaltfreien Umgang mit Konflikten und Konfliktpotenzialen zu fördern, vorhandene Ansätze zur Versöhnung und Friedenssicherung zu stärken und Beiträge zum Wiederaufbau einer funktionierenden Zivilgesellschaft zu leisten.
Außerdem wurde im Jahr 1999 bereits ein Indikatorenkatalog zur Krisenprävention entwickelt, der es ermöglichen soll, die Zuspitzung von Krisen in den Partnerländern frühzeitig zu erkennen. Dem wurde aber bisher kein institutioneller Prozess zur Aktivierung krisenpräventiver Maßnahmen angegliedert. Das BMZ zog damit die Konsequenzen aus seiner Politisierung. Die Zweiteilung von: 1. keinen Schaden anrichten, und 2. aktiv dem Gewaltausbruch entgegentreten, soll durch die Mainstreamaufgabe der zivilen Krisenprävention in der Entwicklungspolitik und dem Instrument des ZFDs gewährleistet werden.

Fragen an das Colloquium:
1) Die Entwicklungspolitik steht im Zeichen der Sicherheitsdiskussion. Überfordert sich diese damit nicht? Welche Chancen und welche Risiken ergeben sich aus der neuen Verzahnung von Entwicklungspolitik und Sicherheitspolitik?

2) Die im Colloquium besprochenen Konflikte wurden bzw. werden zu einem überwiegenden Teil gewaltsam ausgetragen. Externe Aufmerksamkeit erlangen Konflikte erst dann, wenn die Akteure zu militärischen Mittel greifen. Was sind die Gründe dafür? Was müsste sich ändern, um dem ‚Primat der Prävention’ gerecht zu werden?

3) NROs spielen in dem Konzept der Zivilen Konfliktbearbeitung eine wichtige Rolle. Sie gelten als neutrale Akteure und haben gemeinhin besseren Zugang zur Zivilbevölkerung. Mit welchen Problemen sind ausländische und inländische NGOs konfrontiert? Welche Probleme können sich aus der verantwortlichen Rolle gesellschaftlicher Organisationen für die Konfliktdynamik ergeben?

Links zum Thema

Ein erster Überblick:
C. Wellner/ A. Kirschner: Zivile Konfliktbearbeitung - Allheilmittel oder Leerformel?, 2005

Gesamtkonzepte und Rahmenbedingungen:
Gesamtkonzept ‚Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung’, 2000

Aktionsplan ‚Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung’, 2004


Rat der Europäische Union, Zivile Krisenbewältigung


Institutionen der ZKB:
In Deutschland:
Arbeitsgemeinschaft Entwicklungspolitische Friedensarbeit

Berghof Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung

Konsortium Ziviler Friedensdienst

Plattform Zivile Konfliktbearbeitung


Projekt zivik


In der EU:
European Centre for Conflict Prevention und European Platform for Conflict Prevention

European Network for Civil Peace Services

European Peacebuilding Liaison Office

Weitere Texte zum Thema:
T. Debiel/ M. Fischer: Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung durch die EU, 2000

Bestandsaufnahme der ‚Plattform Zivile Konfliktbearbeitung’ zur ZKP in Deutschland, 2003

G. Maihold: Die sicherheitspolitische Wendung der Entwicklungspolitik: Eine Kritik des neuen Profils, 2004

bearbeitet von Jana Rosenboom