Friedens- und Sicherheitspolitik Online

Informations-Plattform zum tagespolitischen Colloquium am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin im Wintersemester 2005/06

Mittwoch, Dezember 14, 2005

Policy-Empfehlungen zur internationalen Ugandapolitik

von Stefan Skupien

Die Lord Resistance Army stellt Analysten und Beobachter vor einige Schwierigkeiten. Die im Norden Ugandas tätige Rebellenarmee bewegt sich in einer politischen Grauzone, weil sie zwar keine klar definierte und zielstrebig verfolgte staatspolitische Programmatik aufweist, aber dennoch eine Form der Vergesellschaftung darstellt, auch wenn kein direkter Anspruch auf Territorium erhoben wird. Damit ist sie Gegenstand der politikwissenschaftlichen Analyse, mehr noch seitdem das Ausmaß der Gewaltanwendung ein Politikum darstellt.

Demnach müssen zuallererst die Größe, Organisationsstrukturen und Motive der Gruppe, bzw. ihrer Führung herausdestilliert werden, um angemessene Handlungen generieren zu können. Sollte es sich nämlich um eine Mafiaähnliche Gewaltökonomie, in diesem Fall auf der Entführung von Kindern basierend, handeln ergibt sich ein klarer Auftrag an die bewaffneten Streitkräfte Ugandas die Rebellen zu entwaffnen und ihr Wirkungsgebiet zu befrieden. Neben dieser betont militärischen Komponente spielten die Friedensverhandlungen lediglich eine unterstützende Funktion, indem sie jegliche Gewalteskalationen durch Amnestieangebote zu unterbinden versuchten. Lokale Initiativen zur Konfliktlösung sollten dennoch von allen Seiten unterstützt und deren Erfolg nicht prinzipiell in Frage gestellt werden. Die erneuten Angriffe seitens der LRA auf humanitäre Organisationen deuten aber auf einen längeren Verhandlungsprozess hin, was Vorwürfe der Verschleppung des Friedensprozesses zugunsten einer Re-Organisation der LRA nach sich zieht.

Die Internationale Gemeinschaft hat bisher kein ökonomisches Interesse an Norduganda formuliert und fällt lediglich durch symbolische Ermahnungen in Hinblick auf die LRA auf. Dennoch hat der ICC erste Haftbefehle für Josef Kony und vier weitere hochrangige Offiziere ausgestellt. Die USA listet die LRA außerdem als terroristische Vereinigung auf.

Während eine militärische Lösung auf einen anhaltenden strategischen Sieg über die Rebellenarmee zielt, sind die sozioökonomischen Dimensionen der Post-Konflikt-Zeit nicht außer acht zu lassen. Die seit der Kolonialzeit unter den Engländern strukturell vernachlässigte Pader- und Kitgum-Region muss nicht nur 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge reintegrieren sondern auch die ökonomischen Reproduktionsbedingungen überhaupt erst zur Verfügung stellen. Dabei sollten besonders die dringende medizinische Versorgung (1,000 Sterbefälle pro Woche) und missbrauchte Kinder in den Vordergrund zu stellen. Die Regierung Ugandas sollte das Staatsgebiet zum Notstandgebiet erklären um dadurch in der Konsequenz rechtlich erforderliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Ehemalige Rebellen muss eine Alternative zum wiederholten Waffengang angeboten werden. Die Ugandische Regierung hat anderen Rebellengruppen bereits Resettlement-Packages angeboten hat, konnte diese aber nur teilweise bereitstellen. Appelle an die Regierung in dieser Hinsicht müssen einheitlich und bestimmt erfolgt. Dabei wird der Zusammenhang mit der innenpolitischen Lage Ugandas offenbar: Einflussnahme seitens westlicher Regierungen über vorenthaltende Entwicklungsunterstützung (in 2005: Irland, Norwegen und UK) als Reaktionen auf Entwicklungen des Regierungssystems können die Möglichkeiten des Ugandischen Staates nachhaltig konterkarieren.

Trotz allen Anlass zum Optimismus muss die Handlungsfähigkeit externer Akteure kritisch betrachtet werden. Weder die Sudanesische Armee noch der bewaffnete Flügel der SPLM betrachten derzeit die LRA als oberste innenpolitische Priorität. Übergriffe der LRA auf sudanesischem Territorium (August 2005) haben jedoch schon zu scharfen Verurteilungen geführt. Auch die im Osten Kongos stationieren UN-Blauhelmsoldaten (MONUC) und die kongolesische Armee werden erst erhebliche Ressourcen mobilisieren müssen um Teile der LRA gezielt verfolgen zu können.

Die internationale Staatengemeinschaft selbst kann aber einen substanziellen Beitrag zur Lösung des Konfliktes leisten, wenn die effektivsten Instrumente der Rebellenarmeen, die Kleinwaffen und Antipersonenminen, global eliminiert und vom Handel ausgeschlossen werden. Einschlägige Konferenzen, wie die UN Small Arms Conference von 2001, haben nicht nur das Bewusstsein geschärft, sondern auch Aktionsprogramme erarbeitet und Resolutionen initiiert (UN Resolution: Unterstützung von Staaten zur Eindämmung des unerlaubten Handels mit Kleinwaffen und zur Einsammlung dieser Waffen, 2004; . Hinweise auf unterzeichnete und verabschiedete bereits existierende Resolutionen der UN (z.B. Declaration on the Protection on Women and Children in Emergency and Armed Conflict, 1974; Optional Protocol to the Convention on the Rights of Children on the involvement of children in armed conflict, 2000) ergänzen dabei die Aufforderungen an die Internationale Gemeinschaft, sich des als vergessen bezeichneten Krieges im Norden des Landes anzunehmen.

Mittwoch, Dezember 07, 2005

Gewaltmärkte und soziale Polarisierung in der Republik Sudan – ein „successfully failed state“?



Seit die Republik Sudan am 1. Januar 1956 de jure unabhängig wurde, ist es den vermeintlichen Zentralre-gierungen in der Hauptstadt Khartoum nie gelungen, ein Mindestmaß an Staatlichkeit für das gesamte Land zu gewährleisten. In dem größten Flächenstaat des afrikanischen Kontinents wird seit knapp fünfzig Jahren bis in das Jahr 2005 hinein mit variierender Intensität und mit variierenden regionalen Schwerpunk-ten Krieg geführt. Einzig zwischen 1972 und 1983 kam es zu einer Phase brüchiger Stabilität, die allerdings fast zwangsläufig in einen neuerlichen Kriegsausbruch mündete. Die Republik Sudan wird von einer multidimensionalen Konfliktlage beherrscht. In wechselnden Allianzen kämpfen Armee, Befreiungsbewe-gungen, Milizen und Banden gegeneinander. Der „Norden“ kämpft gegen den „Süden“, Gruppen im Nor-den kämpfen ebenso gegeneinander wie Gruppen im Süden, Christen gegen Christen und Muslime gegen Muslime. Auffallend sind u. a. der hohe Fragmentisierungsgrad der Konfliktparteien, der Gewaltaustrag innerhalb von Konfliktparteien bzw. zahlreiche „Frontwechsel“ sowie gefestigte Strukturen (illegaler) Ausbeutung (z. B. Zwangsarbeit, Schutzgelderhebungen, Plünderungen, etc.).


Wirtschaftliche wie auch militärisch-strategische Interessen der sudanesischen Eliten, aber auch externer Akteure aus Anrainerstaaten und Übersee, beeinflussen das Kriegsgeschehen in erheblichem Maße. Im Verlauf der Unabhängigkeitsgeschichte ist es den (quasi-)staatlichen Führungseliten im Sudan gelungen, das marode System in seiner extremen Ungleichheit stabil zu halten und sich defizitärer Staatlichkeit gezielt zur Durchsetzung ihrer Interessen zu bedienen. In diesem Sinne bezeichnet der französische Histo-riker Gérard Prunier das Land als „successfully failed state“. Immer wieder aufs Neue haben sich Gewalt-märkte herausgebildet, die wiederum einen wesentlichen Hinderungsgrund für Entwicklung und Ausübung einer stabilen Staatlichkeit darstellen.

Die kriegerischen Auseinandersetzungen im Sudan haben nahezu drei Millionen Menschen das Leben gekostet. Neben den unmittelbar bei Kriegshandlungen, Massakern und Massenvertreibungen Getöteten forderten (durch die Kämpfe verursachte) Hungersnöte die meisten Opfer. Nach Schätzungen des UNHCR liegt die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen derzeit bei insgesamt rund fünf Millionen, was in etwa einem Siebtel der Gesamtbevölkerung des Landes entspricht. Über vier Millionen Menschen wurden in-nerhalb der Staatsgrenzen vertrieben – dem UNHCR zufolge die „weltweit größte Zahl an Binnenvertriebenen“ – weitere 600.000 Sudanesen und mehr sind außer Landes geflohen. Zahlreiche Quellen belegen zudem, dass die Praxis der Sklaverei im Sudan bis in die Gegenwart hinein zur Anwendung kommt.

Das (prä-)koloniale Erbe: Entwicklung des Zentrums-Peripheriegefälles im Sudan
Die Konflikte im Sudan sind geprägt von einem erheblichen Zentrums-Peripheriegefälle. Die Geschichte der Marginalisierung bzw. gezielten Ausbeutung großer Gebiete im Süden und Westen – insgesamt über zwei Drittel des Landes – reicht bis vor die „europäische“ Kolonialzeit zurück. Bereits im 18. Jahrhundert war das Gebiet des heutigen Sudans osmanisch-ägyptischer Herrschaft unterworfen, während der die Bevölkerung im Süden und Westen systematisch ausgebeutet wurde. Die britisch-ägyptischen Kolonialherren verfolgten dann zwischen 1899 und 1955 eine Herrschaftspolitik des divide et impera. Sie behandelten Nord- und Südsudan als zwei getrennte Blöcke, betrieben eine aktive Rassentrennung sowie ein weitgehendes Auseinanderdividieren der Verwaltung. Wirtschaftlich zeigte das Empire nur wenig Interesse am Sudan und bescherte dem Land eine extrem ungleiche Entwicklung, von der einzig die Kernregion rund um die Hauptstadt Khartoum profitierte.

Trotz der vorangetriebenen Zweiteilung entließ das britische Kolonialreich den Sudan schließlich als Ein-heitsstaat in die Unabhängigkeit. Der Herrschaftsapparat wurde ohne Blutvergießen an eine kleine nordsu-danesische Elite übergeben. Diese setzte die ungleiche Sozial-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik der Kolo-nialregierung fort, nun freilich nicht mehr verbunden mit Rassentrennung sondern stattdessen mit Maßnahmen zur kulturellen Zwangsintegration. Schon die „Zweiteilung“ der sudanesischen Bevölkerung wäh-rend der Kolonialzeit war der tatsächlichen kulturellen Vielfalt des Landes (mit rund 600 ethnischen Grup-pen) nicht gerecht geworden. Die von den Führungseliten in Khartoum nach Ende der Kolonialzeit verfolgte Homogenisierungspolitik hat die soziale Polarisierung im Sudan dann aber noch weiter verschärft.

Erdöleinnahmen als zentrale Kriegsursache?
Die Entdeckung und Erschließung umfangreicher Ölvorkommen (rund 1% der globalen Reserven) hat die Konfliktlage im Sudan während des vergangenen Jahrzehnts weiter angeheizt. Einige Autoren halten Erdöl mittlerweile für die zentrale Kriegsursache im Sudan. Tatsache ist, dass die Regierung in Khartoum durch die Erdöleinnahmen ihre Militärausgaben drastisch erhöhen konnte, damit aber trotzdem keinen entschei-denden militärischen Vorteil gegenüber Rebellen und Milizen erlangt hat. Die Erdölgebiete befinden sich vorwiegend im Süden des Landes. Die wechselnden Regierungen waren im Verlauf der 80er Jahre darum bemüht diese Gebiete (u. a. mithilfe von angeworbenen Milizen) unter ihre Kontrolle zu bringen. Die dort lebende Zivilbevölkerung wurde enteignet, getötet oder vertrieben. Mehrere internationale Erdölkonzerne waren nicht nur durch die Breitstellung von Finanzmitteln beteiligt. Weiterer Konfliktstoff ergibt sich da-durch, dass bei der Erschließung des Erdöls zahlreiche Fremdarbeiter zum Einsatz kommen und Ökostan-dards kaum Beachtung finden.

Friedensabkommen zwischen Khartoum und der SPLA/M
Am 9. Januar 2005 wurde in Nairobi ein Friedensvertrag zwischen der vermeintlichen Zentralregie-rung und der SPLA/M (Sudanese People’s Liberation Army / Movement) unterzeichnet. Die Rechte an den sudanesischen Erdöleinnahmen sollen demnach zwischen der Regierung in Khartoum und einer südsudanesischen Regionalregierung aufgeteilt werden – ohne explizite Berücksichtigung der übrigen marginalisierten Regionen (wie etwa Darfur oder die Ostprovinzen). Am Zustandekommen dieses Abkommens waren außer den beiden genannten Konfliktparteien keine der weiteren bewaffneten Gruppierungen und Milizen beteiligt. Nach sechs Jahren Übergangszeit soll die Bevölkerung im Süden per Referendum über eine weitere Zugehörigkeit zur Republik Sudan bzw. alternativ über die Bildung eines autonomen Staates entscheiden. Über die Grenzziehung einer etwaigen Teilung des Landes wurde keine Einigung erzielt. Es ist zu bezweifeln, ob Khartoum eine Abspaltung des Süden tatsächlich hinnehmen würde.

Darfur
Die Entwicklungen im westlichen Grenzgebiet zum Tschad haben in den vergangenen zwei Jahren große internationale Aufmerksamkeit erfahren. Die Provinz Darfur mit rund fünf Millionen Einwohnern gehört zu den ärmsten Gebieten Sudans und sieht sich mit häufigen Dürrekatastrophen, überdurchschnittlichem Bevölkerungswachstum und zunehmend mit Landkonflikten konfrontiert. Als sich im Verlauf des Jahres 2003 eine mögliche Aufteilung der Erdöleinnahmen zwischen Khartoum und SPLA/M abzeichnete (s.o.), verstärkten zwei lokale Rebellenbewegungen in Darfur ihre Angriffe auf Stützpunkte der Regierungstrup-pen – die SLM/A (Sudan Liberation Movement / Army) und das JEM (Justice and Equaltiy Movement). Seitdem begehen Regierungstruppen und angeheuerte Milizen systematisch Massenvertreibungen, Zerstö-rungen und Plünderungen in der Region. Es ist unklar, inwieweit die Milizen noch von Khartoum kontrol-liert werden. Eine von der Europäischen Union (EU) mit finanzierte und technisch unterstützte Schutztruppe der Afrikanischen Union (AU) hat ihre Plangröße bis heute nicht erreicht. Nach wie vor wird von Ver-treibungen, Plünderungen und Überfällen auf Hilfstransporte in der Region berichtet.

Fragen an das Colloquium:
1) Was lässt sich aus dem Fallbeispiel Sudan bezüglich der Analyse von (defizitärer) Staatlichkeit ler-nen? Welche Formen von Gewaltoligopolen ersetzen das seit der Unabhängigkeit zu keinem Zeit-punkt intakte Gewaltmonopol?

2) Lassen sich (intuitiv) verschiedene Typen von Gewaltmärkten (verstanden als System der Gewaltre-gulierung) unterscheiden? Inwiefern variieren Qualität und Verhalten zentraler Konfliktakteure?

3) Die Entdeckung und Erschließung von Erdölvorkommen hat im Sudan wie zuvor bereits in einigen benachbarten Staaten (z. B. Nigeria oder Tschad / Kamerun) eher zu einer Konfliktverschärfung als zu Frieden und Entwicklung beigetragen. Welche Rolle spielen dabei die Erdölkonzerne und ihre Hei-matländer? Wie kann gegengesteuert werden? Sollte die Weltbank im Sudan – ähnlich wie bei dem Tschad-Kamerun-Erölprojekt – eine Mittlerfunktion bezüglich der Erdölerschließung übernehmen?

4) Überlagert der Kampf um Erdöleinnahmen im Sudan alle weiteren Konfliktursachen? Ist ein Stabili-sierungsprozeß auch unter Ausschluss / Isolierung einiger Regionen denkbar?

5) Inwiefern kann das gemeinsame Vorgehen von EU (als Geldgeber sowie Anbieter von technischem und logistischem Knowhow) und AU (als Truppensteller) in Darfur als Zukunftsmodell für externe Krisenintervention in Afrika angesehen werden? Muss das Vorgehen von AU und EU in Darfur enger mit der UN-Mission im Süden des Sudan verknüpft werden?

6) Wie lässt sich die über Jahrzehnte ausgebildete, vielfach instrumentalisierte gesellschaftliche Polari-sierung bzw. das tief verwurzelte Misstrauen im Sudan entschärfen?

Literaturempfehlungen zu aktuellen Entwicklungen im Sudan:
PETER, Marina (2004), Sudan
[schnelle Lektüre auf Deutsch; gut zum Einstieg]

ICG (2005a), The Khartoum-SPLM Agreement: Sudan’s Uncertain Peace
[Pflichtlektüre: Executive Summary and Recommendations]

ICG (2005b), The EU / AU Partnership in Darfur: Not yet a Winning Combination
[Pflichtlektüre: Executive Summary and Recommendations]

ICG (2004), Darfur Rising: Sudan’s New Crisis
[Pflichtlektüre: Executive Summary and Recommendations]

ICG (2003), Sudan’s Other Wars
[lesenswert zum besseren Verständnis der vielschichtigen Konfliktlage im Sudan]

ICG (2002), God, Oil and Country. Changing the Logic of War in Sudan
[bitte selektiv lessen!]

HRW (2003), Sudan, Oil and Human Rights
[bitte selektiv lessen!]

Und wer dann noch tiefer in die Materie einsteigen möchte, dem oder der sei als Ausgangspunkt die Ho-mepage vom diesjährigen Krisenspiel empfohlen: www.krisenspiel.de

Bearbeitet von Jan-Thilo Klimisch

Montag, Dezember 05, 2005

Policy Empfehlungen Somalia

von Corinna Jentzsch und Martin Ottmann

Eine sinnvolle Politik zur Bewältigung des Konflikts in Somalia kann nur auf der Grundlage einer intensiven Analyse der momentanen politischen Zustände geschehen. Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft müssen die territoriale Fragmentierung und die Aufsplitterung der maßgeblichen Konfliktparteien in dem Land am Horn von Afrika berücksichtigen. Hinzu kommt, dass die Präferenzen dieser Akteure von einer vielfältig ausgeprägten Kriegsökonomie bestimmt werden und damit sehr widersprüchlich sind.

Diese komplizierte Situation spiegelt sich auch in dem seit 2004 laufenden Friedensprozess. Die bisherigen Ergebnisse – die Bildung einer Übergangsregierung und eines Übergangsparlaments – sind nur sehr bedingt als Erfolge auf dem Weg zu einem tragfähigen Frieden und einem stabilen Somalia zu betrachten. Aus diesem Grund ist internationalen Akteuren ein vorsichtiger Umgang mit Übergangsregierung und Übergangsparlament zu empfehlen. Es gilt die inhärente Gefahr dieses Friedensprozesses – nämlich die Stärkung und Legitimierung einer einzelnen Kriegspartei – zu vermeiden und den Konflikt nicht durch internationales Engagement zu verlängern und im schlechtesten Fall zu verschärfen. Stattdessen sollte der Versuch gestartet werden einen nationalen Konsens zwischen den Konfliktparteien anzustreben.

Ein weiterer Kritikpunkt des Friedensprozesses ist die mangelnde Auseinandersetzung mit den in Somalia vorherrschenden Kriegsökonomien. Ohne erfolgversprechende alternative Anreizstrukturen ist es nicht möglich, die Interessen der Akteure an einem Fortbestehen des momentanen Zustands zu ändern und damit den Übergang von einer Kriegsökonomie in eine Friedensökonomie zu bewerkstelligen.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Interessen der regionalen Mächte in einen konstruktiven Friedensprozess eingebunden werden sollten. Geschieht dies nicht, wird sich die aktuelle Tendenz dieser Staaten in Somalia eigene Interessen zu verfolgen weiter verstärken. Sollten dadurch die fragilen Zustände innerhalb Somalias aus dem Gleichgewicht gebracht werden, besteht das Risiko einer plötzlichen Eskalation.

Vor dem Hintergrund dieser Kritik an dem aktuellen Friedensprozess ergeben sich folgende Policy-Empfehlungen für ein konstruktives Engagement der internationalen Gemeinschaft in Somalia.
- Der Forderung des Übergangspräsidenten, eine 20.000 Mann starke Truppe der AU oder UN zu seiner Unterstützung zu entsenden sollte nicht nachgegeben werden, da dies eine starke Parteinahme der internationalen und regionalen Partner für eine Konfliktpartei suggerieren würde.
- Die Erfahrungen der internationalen Gemeinschaft aus dem staatlichen Wiederaufbau von Afghanistan sollten herangezogen werden. Hierbei ist vor allem die Frage bedeutsam, wie eine Friedensregelung für die Konfliktparteien „lukrativ“ gemacht werden kann, um den Übergang zu einer Friedensökonomie einzuleiten.
- Das Potential von zivilgesellschaftlichen Gruppen sollte gewinnbringend in den Friedensprozess eingebracht werden. Hier stellt sich die Frage, welchen Beitrag solche Gruppen leisten können, um Vertrauen in staatliche Strukturen zu stärken und den Konflikt damit zu de-eskalieren.
- Die territoriale Zersplitterung Somalias erfordert einen Lösungsansatz, der über das simple Einfordern der territorialen und nationalen Integrität Somalias hinausgehen muss. Die internationale Gemeinschaft muss alternative Wege finden, um mit der Frage der zukünftigen Gestalt eines somalischen Staates umzugehen. Hier können eventuell Erfahrungen aus anderen – auf dem ersten Blick nicht vergleichbaren – Konflikten gewinnbringend nutzbar gemacht werden.

Prinzipiell stehen internationale Akteure im Falle Somalias vor mehreren grundsätzlichen Herausforderungen, die nicht nur für die Lösung des Konflikts in Somalia von Bedeutung sind:

Erstens, wie plausibel ist es von außen zu intervenieren, wenn eine solche Intervention die reelle Gefahr beinhaltet, kontraproduktiv zu wirken? Welche alternativen Einwirkungsmöglichkeiten ergeben sich dann für internationale Akteure?

Zweitens, wie sinnvoll ist es, Staatlichkeit zu exportieren, wenn das Konzept „Staat“ an sich herausgefordert ist?

Drittens, wie sind Funktionsäquivalente von Staatlichkeit in zerfallenen Staaten durch die internationale Gemeinschaft zu beurteilen und welche Rolle können sie in einem Friedensprozess spielen?

Freitag, Dezember 02, 2005

Der Konflikt im Norden Ugandas : lokaler Zynismus der Macht?

Seit dem Sieg des Mouvements unter Präsident Museveni 1986 verhindert die Lord Resistance Army (LRA) unter der Führung von Josef Kony die effektive Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols im Norden Ugandas. Nach 20 Jahren häufen sich die Anzeichen auf eine endgültige Lösung des Konflikts mit der (pseudo)religiösen Gruppe unter Kony. Ein verbleibender Kern der Rebellen wurde im Sommer 2005 nach einer Militäroffensive aus dem Staatsgebiet in den Sudan und die DRC getrieben. Andererseits wurde Kony schon öfters für tot erklärt.

Historischer Abriss

Trotz der obskuren Mischung aus religiösen und magischen Praktiken hat die LRA politische Wurzeln. Nach Musevenis Sieg über Obote und der nachfolgenden Integration von Rebellengruppen hat sich die LRA in einem Machtvakuum als Sprecher der Acholi im Norden des Landes profiliert. Ziel war es, die Regierung Musevenis durch eine Regierung nach strenger Auslegung der 10 Gebote zu ersetzen. Die Mehrzahl der Aktionen richtete sich im Folgenden aber gegen die Bevölkerung der Acholi, die (nach biblischen Vorgaben) verstümmelt und deren Kinder, seit 1986 30.000, entführt werden. 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge resultieren aus der lokalen Terrorisierung. Derzeit lebt die Mehrzahl dieser Vertriebenen in Lagern für Binnenflüchtlinge (IDP's), die gleichzeitig Angriffsziele für die Rebellen sind.
Bis 2002 war zudem offiziell bekannt, dass die sudanesische Regierung in Karthoum die LRA mit Waffen und Material unterstützte, als Gegenzug zur ugandischen Unterstützung der SPLA.

Aktuelle Situation
Der Kampf um den Norden des Landes kann seit 1995 als Krieg klassifiziert werden, der 1997 seinen Höhepunkt erreichte und sich seitdem auf punktuelle, aber weitgestreute Anschläge konzentriert. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die staatliche Sicherheit zu keinem Zeitpunkt in Gefahr war. Im Sommer 2005 konnte die ugandische Armee (UPDF) erhebliche Gewinne gegenüber den Rebellen erzielen und diese bis in den Südsudan verfolgen. Jedoch haben LRA-Rebellen in den beiden vergangenen Monaten wiederholt Fahrzeuge von humanitären Organisationen sowie Zivilisten attackiert. Gleichzeitig ist seit dem 30.11. die Rede davon, dass Josef Kony über den LRA-Kommandant Vincent Otti Verhandlunsbereitschaft für einen Frieden signalisiert hat. Anfang Oktober hat der ICC fünf Haftbefehle für Josef Kony, Vincent Otti und drei weitere hochrangige Offiziere ausgeschrieben. Dieser Zug ist jedoch nicht ganz unumstritten: auch wenn er bei der Regierung auf Zuspruch stößt, hindert er in anderen Fällen den Friedenswillen und die Integration in der betroffenen Region.
Mittlerweile beteiligen sich drei Armeen (SAF, SPLA und UPDF) im Süden Sudans am Kampf gegen die verbleibenden Strukturen der LRA. Die Spitze um Kony wird derzeit im Sudan vermutet, wo die Kooperation mit dort agierenden Rebellengruppen (ugandischer und ruandischer Provinenz) nicht ausgeschlossen ist.
Die LRA ist dabei nicht der einzige Konfliktherd in Uganda. Die Regierung steht vor innenpolitischen Spannungen bezüglich der Wahl in 2006, vor bewaffnetem, grenzüberschreitendem Vieherdendiebstahl (K‘jong-Krieger) und Grenzkonflikten mit der DRC. Erschwert wird die Situation außerdem durch Spannungen mit Ruanda.

Konfliktdimensionen
Das bedeutendste Charakteristikum, neben dem ‘Unpolitischsein‘ der LRA ist die kontinuierliche Entführung von Kindern zu Zwecken der militärischen, sexuellen und ökonomischen Ausbeutung; durch Eingliederungen in religiöse Praktiken und Morden an nahen Verwandten werden sie systematisch von der Gesellschaft entfremdet.
Sollte der Konflikt zu diesem Zeitpunkt vor einer Lösung stehen, d.h. einer dauerhaften Beilegung der kriegerischen Aktionen, eröffnen sich folgende Dimensionen für den Analysten und Politikberater: a) sozioökonomische Integration der 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge und wirtschaftlicher Aufbau der bisher vernachlässigten Region im Norden Ugandas; b) ökonomische und psychologische Re-Integration der Kindersoldaten in die Gesellschaft, c) Auffangen der Soldaten in militärischen Strukturen und/oder systematische Entwaffnung.
Daraus und aus den aktuellen Ereignissen ergibt sich ein Menge an Fragen:

1. Wie analysiert ein Politikwissenschaftler überhaupt eine als solche bezeichnete unpolitische, terroristische Bewegung?
2. Wie sind die derzeitigen Schritte im Friedensprozess zu bewerten? Wie sind die neuesten Übergriffe auf humanitäre Organisationen und Zivilisten einzuordnen? Handelt es sich nur um Zeitschindung zugunsten einer Neuordnung oder zeichnet sich vor allem in der internationalen Kooperation eine dauerhafte Beilegung des Konfliktes ab?
3. Wie verhalten sich die Haftbefehle des ICC vom Oktober 2005 zu der Bereitschaft der Bevölkerung (70%) zu einer teilweisen Amnestie (Report Forgotten Voices)?
4. Welche Integrationsleistungen kann die ugandische Armee aufbringen? Welche Bedeutung ist den traumatisierten Kindersoldaten in der Konfliktanalyse und Politikberatung zuzurechnen?
5. In welcher Weise tragen Policy-Empfehlungen dem autokratischen Führungsstil Musevenis Rechnung, der den Konflikt im Norden bisher nicht als erste Priorität anzuerkennen scheint und auf die militärische Lösung setzt.

Links
International Crisis Group
BBC Country File
Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF)
UN IRIN-News - Zur Struktur der LRA

News
Allafrica
Human Security Gateway - Zum Friedensprozess

Bearbeitet von Stefan Skupien

Donnerstag, Dezember 01, 2005

Fragile Staatlichkeit in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit


Hallo Leute,
hier eine kleine Leseempfehlung zur Stand der Diskussion des Themas "Fragile Staatlichkeit" innerhalb der deutschen EZ. Besonders lesenwert der Artikel über Somalia, in dem besonders noch einmal die Rolle der Clans und ähnlichen informellen Institutionen bei der Bereitstellung von Äquivalenten von Staatlichkeit, aber auch die Grenzen einer solchen Regulierung aufgezeigt wird.
Gruß,
Cornelius

Entwicklung und ländlicher Raum
39. Jahrgang
Heft 6/05

Fragile Staaten aus dem Blickfeld der ländlichen Bevölkerung
Dr. Armin K. Nolting, Dr. Roman Poeschke
Fragile Staaten stellen eine der großen Herausforderungen unserer Zeit dar. Daher geraten sie zunehmend in das Blickfeld von internationaler Politik und Entwicklungszusammenarbeit. Allerdings wird dabei die Perspektive der Menschen nicht immer genügend eingebracht. Die internationale Gemeinschaft rückt eigene sicherheitspolitische Interessen in den Vordergrund – Stichwort «Kampf gegen den Terrorismus». Für die Menschen in fragilen Staaten stehen dagegen das eigene Überleben und die Suche nach Entwicklungsmöglichkeiten für sich und ihre Gemeinschaften im Mittelpunkt.

Warum zerfallen Staaten, und was genau passiert dabei?
Dr. Conrad Schetter
Der Begriff des Staatszerfalls erlebte in den letzten Jahren eine rasante Konjunktur. Für diesen Kontroll- und Legitimitätsverlust von Staaten werden in der Regel globale Rahmenveränderungen verantwortlich gemacht. Doch lässt die Prominenz dieses Begriffs leicht übersehen, dass das Phänomen defekter Staaten nicht neu ist, sondern seit der Einteilung der Welt in Nationalstaaten existiert. Zudem lässt sich kaum ein einheitliches Bild des Staatsversagens zeichnen. Dennoch sind bestimmte funktionale, institutionelle und territoriale Defizite hierfür charakteristisch.

Länderbeispiele I: Afghanistan Staat im Umbruch
Dr. Bernt Glatzer
Bis 1978 war der afghanische Staat schwach, aber stabil. Stark dagegen waren immer schon ländliche Ordnungsstrukturen, die den Staat ergänzten. Erst der Versuch, auf der Grundlage fremder Ideologien und Militärs über die Köpfe der ländlichen Bevölkerung hinweg einen starken Staat zu etablieren, führte zum Zusammenbruch. Wenn auch das Zentrum zeitweise ausfiel, so bewiesen doch viele staatliche Institutionen in den Provinzen eine erstaunliche Überlebenskraft, und es entstand in breiten Teilen der Bevölkerung ein entschiedenes Staatsbewusstsein.

Länderbeispiel II: Somalia – Land ohne Zentralstaat, aber dennoch funktionsfähig
Jutta Bakonyi, Dr. Ahmed Abdullahi
Somalia ist das bislang längste Beispiel für ein Land ohne zentralen Staat in der modernen Welt. Obwohl es häufig als chaotisch und anarchisch beschrieben wird, hat sich in Somalia längst eine neue Form gesellschaftlicher Organisation herausgebildet. Es scheint sogar, als hätten sich viele Menschen mit dem Zustand der Staatenlosigkeit gut arrangiert.

Länderbeispiel III: Sierra Leone - Staat im Aufbruch
Dr. Nicole Rudner
Nach zehn Jahren Bürgerkrieg mit schwersten Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten besonders an Frauen und Kindern galt Sierra Leone als gescheiterter Staat – als «Failed State». Mit massivem Einsatz von UN-Sicherheitskräften wurde die Demobilisierung im Jahr 2002 abgeschlossen und der Frieden hergestellt. Die staatlichen Organe begannen, ihre Funktionen wieder wahrzunehmen, und die Wirtschaft kommt in Gang. Doch nach wie vor steht das Land auf wackeligen Beinen, ist das Staatswesen als fragil zu bezeichnen. Welchen Beitrag kann die Entwicklungszusammenarbeit zur Stabilisierung des Landes leisten?

Länderbeispiel IV: Bolivien - Staat in Gefahr?
Miguel Urioste, Andrea Kallabis
Die Ereignisse, die dem Rücktritt von Präsident Mesa im Juni 2005 vorausgingen, machten es deutlich: Bolivien, einst Musterland der internationalen Kooperation, befindet sich in einer tiefen politischen Krise. Dennoch würde es dem nunmehr über zwei Jahrzehnte andauernden demokratischen Prozess nicht gerecht, das Land in die Liste der «Failing States» einzureihen. Die kommenden Monate werden entscheidend für die Glaubwürdigkeit der repräsentativen Demokratie in Bolivien sein.

Fragile Staaten – Was lehren uns die Länderbeispiele?
Dr. Jochen Hippler
Afghanistan, Bolivien, Sierra Leone und Somalia – diese vier Länder stehen für unterschiedliche Geschichten von fragilen Staaten. Der Autor dieses Beitrags analysiert die Länderbeispiele auf die unterschiedlichen Ursachen, wie zum Beispiel die Rolle ethnischer Identitäten, Machtanspruch von Clans und anderen substaatlichen Gruppierungen oder die mangelnde gesellschaftliche Repräsentanz in den Regierungen. Als größte Gefahr für einen Staat sieht der Autor Gewalt, die vor allem einen schwachen Staat schnell destabilisieren und ins Chaos stürzen kann.

Überwindung fragiler Strukturen von außen: Was kann Entwicklungspolitik erreichen?
Dr. Stephan Klingebiel
Entwicklungspolitik hat mit der gesamten Bandbreite von fragilen Strukturen in Entwicklungsländern zu tun, die von einzelnen Defiziten etwa bei der Gewährleistung von Sicherheit bis zum Zusammenbruch staatlicher Strukturen reichen kann. Die Einflussmöglichkeiten für Entwicklungspolitik und andere externe Akteure sind zwar immer begrenzt, oftmals bestehen aber Ansatzpunkte, um sowohl Stabilitätserfolge zu sichern als auch schwache staatliche Strukturen überwinden zu helfen.